Von Jean Paul an Amöne Otto. Bayreuth, 18. September 97.
Brieftext
Gute Amöne,
Ihr Brief—gen ist eine Überraschung wie Ihre Musik, die Sie
immer wekt. Aber ich höre alle Ihre Klagen lieber als die über
Ihren Körper; und unter allen meinen Wünschen für Sie steht
die
Gesundheit oben.
Vor lauter Angst über die enge Zeit, in die ich ganze Himmel und
Bibliotheken und Volksmengen zusammendrängen möchte, brauch ich
sie kaum: wüst’ ich doch nur Ein stichhaltiges Mittel, in 1
Stunde
zugleich in Hof, Bayreuth und Jena zu sein,
aber ich weis schon, es
ist nichts.
Ach es ist schade, daß Sie mir das schöne, nur einem edeln Geiste
angehörige Geheimnis erst in einer Ferne von 6 Meilen gaben,
und
nicht in einer von einer — Armlänge. Entzükt über die
Schönheit
Ihrer Empfindung und traurig über ihr
Dasein — denn ihre Wahrheit
wende der Himmel von Ihrer
Gesundheit wie von Ihrem Herzen
ab —, nein! ich würde Sie zu
schmerzlich lieben; und alles schmerzt
mich jezt, was mich
freuet, und Sie sollen mein Herz nicht in der
Minute zu sehr
bewegen, wo es sich auf immer, obwohl nur physisch,
abreisset! Leben Sie wohl, Freundin und vergeben Sie die Kürze des
Briefes der Menge von Briefen, auf die ich zu antworten
habe.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_702.html)