Von Jean Paul an Emanuel. Hof, 3. April 1795.
Brieftext
Mein lieber Emanuel,
Ich zögerte bisher, weil ich das Geld nicht mit einem Briefe sondern
mit dem Briefsteller selber begleiten wolte: jezt erhalten Sie
es aus
einer schönern Hand. Für
die gelbe Folie, die Sie um meine lilliputi
schen Schenkel geleget haben, bin ich
Ihrer Gütigkeit so viel wie Ihrem
Geschmacke verbindlich, der
die Einwindelung meines Gebeins so schön
besorgte.
Ich wünschte, Sie theilten mir stat einzelner Samenperlen Ihrer
Rabbinen eine ganze Halsschnur in Drukpapier eingewickelt zu.
Leider
hab’ ich mehr über als von den Juden gelesen: von der Mischna kont’
ich den 1 Th. in Raabes Uebersezung bekommen; ich weis nicht,
ob er
die Gemara übersezet hat: sonst bät’ ich Sie darum, wenn Sie
sie anders
einem Kuthäer leihen dürfen. Besonders über die
Seelenwanderung
und Unsterblichkeit möcht’ ich Rabbinen hören.
Ihre Lehrer haben 2 Seelen, eine philosophische moralische — deren
Sonnenblicke uns Moses Mendelssohn, Herder und andere sehen
lassen — und eine unbegreiflich enge, einen Adne’ ßadeh,
der mit der
Nabelschnur in die Erde, und zwar in die
palästinische eingewurzelt ist.
Sagen Sie mir Ihre Meinung über den kleinherzigen Zwerg-Geist
in
Vorschriften wie folgenden: Wenn einer
[am] Sabbath ein Geschwür
aufzwikt, um es zu öfnen, so übertrit er ihn, weil es eine Art
Bauen ist;
aber es schadet gar nichts, wenn ers
aufmacht, um die Feuchtigkeit
herauszubringen (M. 5. VII. Edajoth. 2 K.) — So die Untersuchung
im Kapitel vorher, wie viel Todtengebeine dazu gehören, um ein
Haus
zu verunreinigen. — Und so alle Bücher des Talmuds, die
ich gelesen.
Womit ein Katholik, ein Lutheraner den Rabbi rechtfertigen
mus, ist
das: „so bald einmal z. B. der Glaube zulässig ist, daß
ein Todter ver
„unreinige: so mus der
Talmudist doch die Gränzen dieser Verunreini
„gung untersuchen dürfen, bis er heraus hat, daß ein Geräthe, das ein
„Geräthe berührte, das wieder ein anderes berührte, das ein
Todter be
„rühret, im ersten Grade unrein
sei (M. 6. Seder) — Und wenn wir
„Katholiken die Heiligung durch Todtengebeine glauben,
so dürfen wir
„auch untersuchen, ob nicht Dinge, die an andere Dinge
gestossen,
„welche das Todtenbein berührt haben, selber
heilig und gesund machen
„können.“ Der Philosoph kan dazu
sezen: wenn einmal die moralische
Ergebenheit gegen den
Schöpfer durch ein körperliches Zeichen aus
brechen sol: so ist die Wahl des Zeichens, da jedes
Körperliche gleich un
endlich weit vom
Geistigen absteht, gleichgültig und zwischen Tauf
wasser und Vorhaut, und zwischen dem Fasten am christlichen,
und
zwischen dem Schmausen am jüdischen Schabbas ist als körperliche
Handlung kein Unterschied, — ausser daß die leztere Zeremonie
ein
wenig angenehmer ist. Ihre Religion überholt
darin unsere, daß sie
keine einzige theoretische
Unbegreiflichkeit und Kontradikzion wie
unsere fodert. Ein
Philosoph kan leichter ein Talmudist als ein Ortho
dox sein. Gerade Religionen und Völker mit
vielen, scharf abge
schnittenen Zeremonien
verwittern später im Wind und Wetter der
Jahrhunderte
als andere mit wenigen Zeremonien: so die Sineser,
Braminen, Katholiken und Juden — je näher aber eine Religion
(wie
die reformierte) der Philosophie kömt, desto öfter ändert sie
wie die
Philosophie selber Körper und Kleid.
Wenn Sie wollen (und ich kan): so wil ich mit Ihnen Briefe (d. h.
Abhandlungen) über die Offenbarung, über Wunder, Religionen etc.
wechseln. Aber Sie müssen mich vorher versichern, daß wir in diesem
Punkte nicht Cilajim sind, die die 6te M. des IV. Cilajim so gut zu
sammenzuwerfen verbeut als wilde und kultivierte Bäume. Ich
meine,
Sie sollen mir vorher Ihre Toleranz mit dem wildesten
Baum asseku
rieren, der vielleicht kein Baum
des Erkentnisses ist und der seine herben
Holzäpfel noch
fortträgt, ohne daß ihm die Offenbarung viele Reiser
inokulieren können. Sind Ihnen aber die freimüthigsten Behauptungen
— die aber gleichwol im unendlichen Tempel des Universums
anbeten,
der auf drei kolossalischen Säulen ruht, auf Gott,
auf Unsterblichkeit,
auf Tugend — nicht zu freimüthig: so
fangen wir sie an.
Da viele von Ihrer Religion Schabbas-Abends an Gewürze rochen,
um sich unter dem Verlust der Schabbas-Seele
[zu] erfrischen: so
schick’ ich Ihnen gerade Sonabend-Abends ein solches gewürzhaftes
refraichissement oder gar eine neue Schabbas-Seele zu, Ihre
Freun
din Renate. Ich werde Ihnen aber
künftighin nichts schicken als leere
Couverts, wenn Sie nicht (und zwar schon bei der Abreise von
Renate)
eines von beiden thun: wenn Sie mir nicht
entweder so viele und so
lange (und noch längere) Briefe
schreiben als ihr — oder wenn Sie mir
nicht erlauben, alle Ihre
an sie vom Datum an bis zur Unterschrift
rein durchzulesen.
Da die Bayreuther allemal schon im Schoosse des Frühlings ruhen;
indes wir hier auf unserem Marmorboden noch im
Vorzimmer des
Frühlings lauern: so flieg’ ich mit den
Flügeldecken des Maikäfers so
gleich in
Ihre Blüten hinein, sobald sie nur aus den Aesten — heraus
sind. Ich wil mich unterwegs eintauchen in die Paradieses Flüsse der
aufbrechenden Natur und mich in den Düften Ihrer Gärten baden
und
wenn ich dan trunken bin von Gegenden und
Phantasien, wil ich den
Kopf sanft an Ihre Brust anlehnen und
ausruhen.
Leben Sie wol und schicken Sie in dem Kutschkasten der freundlichen
Pilgerin einen Band von der Gemara oder sonst etwas
Rabbinisches zu
Richter.
[Adr.] An meinen Freund Emanuel.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_90.html)