Von Jean Paul an Christian Otto. Berlin, 11. Mai 1801 bis 18. Mai 1801.
Brieftext
nachgetragen: Deine Briefe erhielt ich alle.
Bruder! Wo denkst du hin? An mich nicht; seit 2 Briefen und
3 Monaten hab ich keinen von dir. Möge der Himmel jede
schlimme
Ursache davon verhütet haben! — Lange war ich
nicht so seelig als
seit 1 Monat durch das Wetter, das ich
im Garten neben mir unter
lauter biographischen Erfindungen
einsauge; eine Weinbouteille hängt
der Bediente von meinem
Fenster in den Garten herab und ich trinke
daran. — Zu Pfingsten werd’ ich eines Weibes Haupt.
Was die
lauterste, quellenreinste, ewige Liebe gegen die
Menschheit, nicht etwa
blos gegen mich, ist, das lern’ ich
an meiner C. Jeden Tag wachsen
ihr
mehr Flügel nach. Sonderbar besteht neben ihrer Anbetung des
Überirdischen, der Poesie, der Uneigennüzigkeit, der Natur, der vol
endeten Resignazion — es giebt gar
nichts was sie nicht für mich oder
auch für andere thäte,
Monden-lange Mühe wär ihr ohnehin nichts
— ihr Fleis aus
Pflichtliebe; erst mir zu Liebe liebt sie jezt Kleider,
die
sie sich alle selber macht. (In Geheim hat sie mir einen Überrok
verfertigt; so trente sie neulich um 11 Uhr Mittags ein
weisses Kleid
auf, färbte es roth, nähte es und
abends hatte sie es in einer Visite
anSo übertrug ihr der juristische Vater die Erbschafts Versteigerung
so wie
das Fortbringen ihrer Gerade; so lief sie, um die
verhafteten Sachen der Gräfin
zu lösen, bei vielen herum mit verhehltem
Zahnschmerz, lies sich in einem Haus den
Zahn ausnehmen
und erst nach einem Schmerz erfährt man dessen
Dasein.
.) Noch immer haben wir kein, auch nur kleines, Erbittern ge
habt; ich komme ganz aus meiner Bahn; sie
hat keinen Schmerz als
den daß sie nicht die allerklügste und
allerschönste für mich sein kan.
Ach sieh sie, was sind
Worte! Du gehst gar nicht von ihrem Herzen
weg. — Vogel in Arzberg sandte mir durch Grau sein gutes
Buch
„Johannis“ mit einem sehr wizigen Aviso. Vom Schakal steht
im
Katalog eine fortgesezte neue Auflage (bei Grau) „vom
sinkenden
Helden.“ Hier liegt des plumpen leeren Wernleins Löschblat bei; ich
nant’ ihn blos froh an die Friederike einen Schul- und
Eheherren.
Er ärgerte mich nicht einmal. — Ich schreibe jezt
mit Himmelslust
an meinem „Notarius Gottwalt Bliz“, der den
Siebenkäs, Fixlein
und Wuz vereinen und übertreffen sol; höre, schreibe mir
recht bald
die etwa möglichen närrischen Kollisionen, die in eines
Schulzen Hause
vorfallen können, dessen eine Stuben Hälfte
unter Landesherlicher Ju
risdikzion steht und die andere unter adelicher. Was dir so beifält. — Die
neuen opera erhälst du aus Weimar; dahin sende deinen Brief „ab
zugeben bei Kienhold auf dem Markte“ oder nach Meiningen
ab
zugeben bei Oberststalmeister v. Wechmar.
Am 27ten ist mein Hochzeittag, den ich in Potsdam
feiere. Das
Schönste in deinem lezten Briefe ist dein Versprechen zu
kommen;
C., diese Heilige im eigentlichen Sin, diese Geduldige
und Geschäftige
und Liebende wie ich nie nur dachte, ist seelig von deinem Ver
sprechen. Ihr werdet euch recht lieben. Und du solst freie
und frohe
Tage bei uns haben. Und dan mus der edle
Emanuel auch zu uns
kommen und mit mir über die Franziskanersuppen reden, die
ich ihm
in Weimar vorsezte. — Beiliegendes
Weniges oder Künftiges hab’ ich
durch ein grosses Triebwerk, z. B. den Minister v. Alvensleben, der
mich sehr liebt, den Meklenb. Erbprinz, die Königin etc.
dem König
abgepresset; ein Feind von mir und Mayer, der Kabinetsrath Beume,
der alles gilt und thut, muste der
Konzipient eines Lobes und Ver
sprechens
sein, das er gern ins Gegentheil verwandelt hätte. Hier
hab’ ich nun lauter Thurmwächter, die es mir repetieren, wenn irgend
eine Lebensuhr eines Canonici die
lezte Stunde geschlagen, damit ich
mit der Bitschrift unter
dem Arm sofort dastehe. — Jezt da du zu
mir komst, brauch’
ich mich mit Novitäten nicht sehr zu bemühen, zu
mal in dieser Zeit-Dürre.
Meine 2. Bücher bekomst du aus Meiningen. — Das
„gelobte
Land“ ist nicht von mir. — Deine Dinte ist wie ich sehe, wie
Herolds
Türkisches Roth und fast changeant; du kanst mir eben so gut
meine
Dinte nachbringen als Herold den
Türken ihr Roth. — Fürchte
Hardenberg nicht; gerade wen diese Leute fürchten oder
nicht lieben,
aber achten, den heben sie leichter. Freudig steh’
ich dir bei; könt’ ich
nur mehr! — Der Herzog von Meiningen lies mich durch einen
jüdischen Pferde-Spediteur, der hier im Nebenhaus den Stal
hat,
sehr grüssen. — Von Meiningen wird
an meinen Herzens- und Seelen
〈Zwillings〉bruder Emanuel geschrieben; so auch an die liebe Amoene,
nach deren Anblik und Wort ich mich sehne jezt, wie
noch mehr nach
dir. Sei glüklich!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_134.html)