Von Jean Paul an Friedrich Benedikt von Oertel. Meiningen, 15. Juli 1801 bis 11. Juli 1801.
Brieftext
Mein alter Oerthel! Das beste epistolarische Schreibepult an
dich wäre mein Kanapee; sonst wird nichts. Dir etwan meine neuere
und seeligste Seeligkeit zu schildern — den beglückenden
Abstand des
Ehemannes vom Bräutigam (gerade so gros wie der
meiner Frau
von ihrer Schwester S[pazier]
in Leipzig) — das Eintreffen so alter,
so oft gestorbner Wünsche — und das stäte Fortleuchten einer
unbe
flekten sonnenwarmen Seele — und
mehr dergleichen, das überlass’
ich der guten Hähndrich, wenn sie es weis; ich habe zu wenig Plaz.
Was aber diese anlangt — die ich ohne dein Definitiv-Lob mit mehr
Irthümern beurtheilt hätte —: so habe Dank für das Lob, das
ich
gern unterschreibe; die reichen Flügel ihrer Seele
machen nirgends
viel Wind, jungfräulich-besonnen, tragend,
ruhig und frohsinnig
steht sie da, mehr errathend als
errathen, und eben so fest als sanft.
Hast du über die vorsprudelnde Schlabrendorf einige
Irthümer,
wie ich fast glaube: so nehme die Hähndrich sie dir.
Mir gefält dein Gefallen am Klagelied, ob ich gleich die Neujahrs
vision vorziehe. Unendlich sehnsüchtig
bin ich nach deinen Taxazionen
des Titans; und ich bitte dich, sie mir — gegen Wiedergabe —
samt
allen nahen andern Rezensionen von dir in der Fama zu schicken auf
1 Tag. Ich ändere mich immerfort; und doch werd’ ich bald
ein Werk
geben, das den Siebenkäs und Fixlein verknüpft, repetiert und
übersteigt.
Wie wird deinen Schultern das schwere Waaren-Leipzig? — Mein
Meiningen, wo die Übel des Dorfs und der kleinen Stadt
zugleich
entfliehen, könt’ ich nur gegen die gröste vertauschen. —
Bei dem
König von Preussen hab ich mir die Hofnung eines
Kanonikats er
schrieben durch meine vornehme
prätorian[ische] Kohorte die Königin, ihren Bruder, den Minister von Alvensleben u. a.
daselbst.
— Gleim sandte mir ein silbernes
Schreibzeug wie die Königin ein
dito Theezeug.
— Herlich wärs, wenn du aus deinen Angeln einmal zu heben und
hieher zu wälzen wärest. Was du im Geld einsaugenden Leipzig thust,
fass ich nicht.
Bei Giannozzo hoff ich machst du nicht seinen Karakter ganz zu
meinem, obgleich eine grosse Stadt — wie Paris Rousseau —
leicht
bitter macht und den Werth der (Menschen-)Waare durch
Überflus
herabsezt. —
Lebe nicht wohl, sondern am besten. Schreibe eilends. Grüsse dein
liebes Frizgen und überziehe meinen blassen Namen in ihrem
Herzen
wieder mit einiger Dinte. — Meine Frau grüsset euch liebend.
—
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_166.html)