Von Jean Paul an Friedrich Benedikt von Oertel. Coburg, 28. September 1803.

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Brieftext

Koburg d. 28. Sept. 1803 .

Lieber Oertel! Da wir beide eigentlich nicht recht wissen, warum wir
uns so lange nicht schrieben: so kan ich ja wohl schreiben, besonders da
ich mich nach einem Worte von dir und zu dir sehne. Von deiner äussern,
fixen Geschichte bringt mir zuweilen ein Fremder ein Stük; von deiner
innern die Beigangsche Zeitung ein Stükgen. Ich wolte, du logiertest
einmal 7 Tage bei mir in der Ehe, wo du wieder die Veränderung
meiner Veränderung finden würdest. Machte die Ehe eben so poetisch
als moralisch: man müste mit den Orientalern heirathen.

Doch bin ich seelig — mein Kind ein Engel — meine Frau beides
und komt im November mit einem zweiten Engel nieder, dem ich
gern ein B voran wünsche. — Der geigende Thieriot logiert bei mir,
von dem ich gern hier etwas zum Lobe sagte, krazte er nicht so laut
und so nahe mir gegenüber an diesem Tische auf dem Schreibpapier wie
andere auf der Geige.


Hier wohnen — [ nachtr.: d. 29. Sept. ] eine Menge schöner
Gegenden neben und hinter einander. Das wolt’ ich glaub’ ich, gestern
sagen. — Hast du jezt in Leipzig 1 oder 1\nicefrac{1}{11} merkwürdigen Men
schen? Kenst du meinen ältern Schwager? — Grüsse Beigang, dem
ich Mitarbeiter wünsche wie er selber kameralistisch einer ist. Thu’
mir den Gefallen, unter seine Anzeigen künftiger Werke, woran be
deutende Autoren schreiben, auch die sezen zu lassen, daß J. P. zu
Michaelis 1804 „Programmen, oder ästhetische Untersuchungen“
herausgeben werde. Im künftigen Winter sol mir dies längst ge
säete Moos blühen. Aus Cotta’s Taschenbuch wirst du auch sehen, daß
ich „Flegeljahre“ einen Siebenkäsischen Roman zu Ostern gebe; ich
habe darin Titans Vulkane und Thronen verlassen und spiele wieder
auf ebener Gasse der Bürgerlichkeit. Über des Titans minimum und
maximum möcht’ ich dein offenstes Urtheil haben.

Lässet sich nie eine deiner Marschrouten so beugen, daß sie durch
hiesige Stadt gienge gerade in mein Haus? Zu reden hätten wir was;
so aber nichts, weil der Anfang aus Mangel eines Endes fehlt. —
Mein Haupt-Übel in jedem Sinne, eben das Kopfweh hab’ ich
mir samt viel bessern Dingen aus dem Kopf geschaft — durch Lauda-
num. Du solte[st] an deiner Migraine diese Kur mit 8—10 Tropfen
versuchen; sie ist spezifisch.


Wenn ich Italien ausnehme: so hab’ ich jezt fast alles erlangt und
erraft, was der Mensch alhier jagt — Weib und Kind und einige
Rezensionen und Groschen — und ich könte also in das gröste Dormi
torium, das die Erde hat, nämlich in diese zu Bette gehen; indes wil
ich doch die wenigen Minuten gar spassen, die ich noch auf bin.


Lebe wohl! Alter! Nim diesen Mesgast mit wirthlichem sanftem
Gemüthe auf!


J. P. F. Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Goethe- u. Schiller-Archiv. 4¾ S. 8°. K Oertel 28 Sept. J:Denkw. 1,392. A: IV. Abt., IV, Nr. 304. 239,33 mit] davor gestr. wie H 240,5 diesem] davor gestr. meinem H 18 Titans] nachtr. H 25 samt] aus mit H Dingen] Sachen K 28 erlangt] aus erreicht H 32 gar] nachtr. H 33 Nim] aus Empfa[nge] H

239,30 Oertel war Mitarbeiter der in Beygangs Verlag erscheinendenNeuen Leipziger Literaturzeitung (Fortsetzung der Teutschen Fama, s.Bd. III, Nr. 523, 378,29†). 240, 10 ältere Schwager: Spazier. 12–15 DieAnzeige der Programmen erschien im Intelligenzblatt der NeuenLeipziger Literaturzeitung v. 5. Nov. 1803; s. aber Nr. 419†. 16 CottasTaschenbuch: s. Nr. 380†. 24–27 Vgl. 166 , 18–22 .

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_405.html)