Von Jean Paul an Salomon Friedrich Merkel und Christian Otto. Meiningen, 28. Juli 1801.

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Brieftext

M[einingen] d. 28. July 1801.

Lieber! Ich wolte erst auf den Abgang meines Schreibens an
Hardenberg und auf die Ankunft deines dritten warten, eh’ ich dieses
brächte; aber nur jenen hab’ ich erlebt. — Was hier den Brief
wechsel versüsset und erleichtert, ist daß er wenig zu tragen hat;
was kan ich hier erleben als das was ich erleben lasse, nämlich meine
Schreib-Szenen? — Jezt könt’ ich, ohne Ungestüm, nicht in deinem
Falle sein; früher war ich in manchen noch schlimmern. Ich knirschte
zu sehr à  la Giannozzo. — Samuels neues Betragen und Schreiben
gefält mir; mehr aber geben kan ich nicht; ich wil endlich, so oft be
trogen, sparen, wenigstens für meine C., die ich lieber mit ihrem
zweiten Namen, Leopoldine nennen solte. Sie hat — was ich von
keiner weiblichen Seele weiter sagen kan — gar keinen morali
schen
Fet- oder Rostflecken; ich habe also, zumal da sie eben so sehr die
Liebe (Aufopferung) selber ist als die Tugend, alles von und an ihr,
was der Eigensin nur wil. Das bessert mich. Sie fehlt blos mit der
Phantasie oder dem Verstande, hat zuviel poetische Trunkenheit und
gutmüthige Voraussezung. Aber mein kleinstes Bereden — nicht Be
zanken — drükt sie schon zu sehr. Noch immer bin ich ihr ein J. P.,
nicht R. Und sie lieb’ ich in der Ehe blos romantischer, heisser, ewiger
als vorher. —


Eben wurd’ ich durch Theegeselschaft bei mir gehindert. — Gleim
schikte mir ein Silberschreibzeug mit Versen, die stat des Giannozzo
mehr Liebe begehren. — Herders beiliegender Brief Sende ihn gleich wieder ohne die andern. war eine
grüne Anhöhe vol herabrinnender Quellen; ich kam ohne Hofnung der
alten Liebe zu ihm — wegen meines Umgangs mit den Schlegelisten
— und erhielt eine wärmere, am meisten durch meine Frau. — Der
Herzog war einmal hier, ich muste Mittags und Abends bei ihm essen
und er wird mich immer angeln wollen; er hat viel Sin und Kentnis
und Güte; aber — und hier niemand — keine Poesie und Philosophie;
indes ist doch hier nicht rohe Kanzlei- oder Komtoir-Verbildung wie
in Bayreuth und H[of]. — Schreibe mir doch über die Rudolstädter
Konkursmassa, damit ich mich wenigstens von Monat zu Monat
bezahlen lasse. — Amönens trefliche Version — so weit sie sich aus
sich selber erklärt — hab’ ich an niemand geschikt, weil Monats
schriften für Versionen nichts geben und weil die ossianischen schon
viel zu oft da waren — einen Theil darin noch dazu abgerechnet, den
schon Göthe im Werther übersezte. — Aber bringe ihre gute recht
sehr gezogne Feder lieber dazu — was sie so gut könte — daß sie
etwas eignes fertigt; für dieses wil ich froh der Lootsen und Weg
zeiger sein und man wird mirs danken. —


Herzlich dank’ ich dir für deine Schulzerei; du gabst mir mehr als ich
annehmen darf ohne Plagiat. Die Sache ist nur eine Nebenpartie des
Gemäldes. Mündlich mehr. Manches, z. B. das Kindbett’schieben
gegen die Soldatenbinde hatt ich schon. — Ich bin, besonders um
Fenster in dein jeziges Ich zu haben, auf deine Worte über meine ge
drukten Sachen begierig. — Danke Emanuel; C. sol ein Dinten
Portrait seiner Frau beilegen; warlich in Berlin fänd’ er so vielerlei
(zumal da ich ihn an seine Beschneidungs Genossin, die Mdme Herz
empfähle) daß er gewis wie ich wiederkäme — begleitet. —


C. sehnt sich nach Euch beiden und Emanuel und der Gegend so
sehr, daß ich gewis im Sept. mir einen Bayreuther Wagen bestelle
hieher Hier ist wenig Fuhrwerk; frage doch nach dem Preis, du köntest dan mitob es gleich für nichts weiter zu rechnen wäre als ein Fahrt.. — Sie hat nicht Einen grosstädtischen Miszug, und
liebt die Einsamkeit fast zu sehr; so wie sie hier alle Leute, bis zu
dem Hof-Gärtner — der mich darum beschenkte und mit Recht —
gewint. —


Der sonst trefliche Heß irt ganz über hier. — Ich arbeite wie ein
Vieh am 3. Titan; alles fliesset mir. Jezt wird mir das Stubenhocken
eine Lust. Sonst hätt’ ich nicht 3 Tage so leben können.


Sage dem dummen M. Höfer (ja wohl ein Höfer) was Harden
berg
nicht könne, könne einer noch weniger, der den Narren nicht
kenne. — Mein Pathgen Wernlein [!] war wieder bei mir und lies sich
bitlich und borgend 3 rtl. schenken. Dümmers giebts nichts. — Bei
der Geheim Räthin Zink haus’ ich wenn du oder Emanuel uns die
Freude eurer Erscheinung in den Hinterhof auf eine artige äussere
Vortreppe herauftragen wolt ins linke oder rechte Zimmer 1 Stok
werkgen hoch. Wie ein Junge die Spinmaschine, so dreh’ ich mit
Einem Finger — der Ehering liegt daran — die grössere, womit das
Glük, die Ordnung und Labyrinths-Faden, Liebesseile etc. gesponnen
werden, kurz das Haushaltungsgetriebe, das ungemein richtig geht
ohne Abgang Eines Zähngens. Es thut mir herzlich [leid], daß die
Menschen dem deinigen manche Zähngen ausbrechen. Schreib nur
wenigstens zu deinen litterarischen Akten, nicht litterarischer sondern
politischer Rüksicht wegen, das concepit.


Was du hier siehst, ist ganz neu angesezte Dinte, wovon ich dir
ein Näpfgen (du magst es dan durch deine verdünnen) mitgebe oder
mitbringe.

Lebe wohl. Bitte Emanuel um Vergebung daß ich nichts an ihn
schrieb als 8 Seiten, nämlich diese. Grüsse Amöne.

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin JP. 8 S. 8°. K: Otto 31 [!] Jul. J 1: Otto 4,46× (28.Aug.). J 2: Nerrlich Nr. 89× (28. Aug.). B: IV. Abt., IV, Nr. 157. A: IV. Abt., IV, Nr. 167. 92,33 July] von Amönens Hand verb. in Aug. H 93,5 in manchen] aus darin H 10 weiblichen] nachtr. H 12 Liebe] aus Tugend H Tugend] aus Liebe H 16 ein] nachtr. H 27 — und hier niemand —] nachtr. H 28 indes bis 29 Hof] nachtr. H 34 viel] nachtr. H darin] nachtr. H 94, 1 sehr] nachtr. H könte] aus kan H 8 jeziges] nachtr. H 17 Hof-] nachtr. H 25 und borgend] nachtr., aus und leihend H 28f. 1 Stokwerkgen hoch] nachtr. H 95, 1f. sondern politischer] nachtr. H 4 magst] aus kanst H

Das richtige Datum hat wohl K. 93, 21 Herders Brief: an J. P.IV. Abt., IV, Nr. 158. 29–31 Vgl. 10, 18f. 31ff. Otto hatte Proben von Übersetzungen Amönens aus Ossian und Pope gesandt, die er in Seckendorffs Taschenbuch unterzubringen hoffte. Auf dieser Stelle beruht jedenfalls der Absatzin dem apokryphen Brief an Amöne v. 23. Dez. 1799 (s. Bd. III, 484,Nr. 366): Die mir beigelegte Ossianische Übersetzung, meine Theure, ist schönund poetisch; nur Schade, daß sich gerade mehrere daran gemacht haben. Ichwünschte Sie hätten etwas anderes zu Ihren Arbeiten gewählt. (Otto 4,278.) 94, 4–7 Otto hatte sehr ausführlich die von Jean Paul 73, 13–16 verlangtenKollisionsmöglichkeiten dargelegt. 9–12 Vgl. 79, 36 und Nr. 183. 19 L. v. Heß hatte sich in seinen „Durchflügen durch Deutschland“ (s. Bd. III,Nr. 511, 366,30†) sehr abfällig über Meiningen geäußert, was Otto erwähnt hatte.22 Wahrscheinlich Friedrich Wilhelm Höfer (1751—?), ehemaliger Zuchthausprediger in St. Georgen bei Bayreuth, der 1798 „durch ein traurigesMißgeschick“ seines Amtes enthoben worden war (Fikenscher). 24f. Wernlein: versehentlich oder scherzhaft statt Werner; vgl. Bd. III,379,6†; zu den drei unterstrichenen s vgl. Bd. III, 168,16f. 95, 1f. Vgl. 83, 8f.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_170.html)