Von Jean Paul an Rahel Levin. Berlin, 6. November 1800.
Brieftext
Geflügelte! — in jedem Sin; denn hier hätten Sie noch einige
Wintermonate lange Ihre Reiseschwingen zusammengelegt behalten
sollen. Mit unbeschreiblichen
[!] Interesse hab’ ich einige Ihrer
Briefe von Ihrer Freundin, die sie so sehr verdient, gelesen;
aber mit
eben so vielem Schmerz. Sie behandeln das Leben poetisch, und
das
Leben daher Sie. Sie bringen die hohe Freiheit der
Dichtkunst in
die Gebote der Wirklichkeit und wollen die
Schönheiten dort, auch als
Schönheiten hier
wiederfinden; — aber die poetischen Schmerzen
sind, in die
Prosa des Lebens übersezt, rechte wahre Schmerzen. —
Vor der
Muse ist der Teufel schön und die Parze; aber sie wohnet
nur in uns, und der Teufel so oft ausser uns und hat dan
keine milde
Beleuchtung.
Leben Sie froh unter einem Volke, das Sie besser fassen werden als
dieses Sie. Schreiben Sie mir, aber kein Brief wird mir
gefallen als
der längste. —
[Adr.] Demoiselle Levi.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_20.html)