Von Jean Paul an Johann Wilhelm Ludwig Gleim. Meiningen, 30. May 1802.

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Brieftext

Meiningen den 30ten May 1802 .

Wie soll ich meinen Dank für das kostbare und überraschende Geschenk aus
drüken, das Sie mir mit dem Bilde meiner Grosmutter machen? Wenn die
Schätzung des Werths dieser Gabe Ihnen genügt, so konnten Sie damit kein dank
bareres Herz beglücken. Jezt wünschte ich dem theuern Bilde Leben und Seele
geben zu können, damit meine Sie so sehr verehrende Grosmutter eine der höchsten
Freuden über das Grab hinaus empfinden könnte. Denn ich weis wie lebhaft
jedes Zeichen Ihrer Freundschaft, für sie wohlthätig, und über alles erfreuend
wirkte. Sie war ihr Stolz und das schönste Verhältnis ihrer alten Tage.

Meinem Geschik das mich so wunderbar an die Seite eines von Ihnen so
geliebten Jüngers der Tugend und der Musen führte, danke ich den Gewinn Ihrer
Liebe. Diese Vorstellung wird mich nicht stolz werden laßen, denn ich selbst bin
unbedeutend, und indem Sie Ihm durch mich, wiederum beweisen wie werth Er
Ihnen ist — verehre ich tiefer den hohen heiligen liebenden Geist, den ich einmal
durch Seine Gestalt leuchten sehen möchte.


Ja ich wüßte nichts erhebenderes, als den Seegen über unser Leben der für lange
Zeiten wirken mus, von Ihrer Hand zu empfangen. Mein Mann geht mir in der
Ehrfurcht für Sie voran, auch Er wünscht mich einmal zu Ihnen führen zu können.


Unendlich weh hat es uns gethan, daß Ihr Auge seines Dienstes noch unfähig
ist — wie feierlich rührend ist diese Geduld bei dem Zaudern der Natur — aber
die Hofnung der Genesung kann ein guter Geist nicht unerfült laßen! Und er gebe
Ihnen noch viele schöne Tage, und laße mich einmal meine Liebe und meine Ver
ehrung lebhafter als durch Worte ausdrüken.


Caroline Richter.

Ihr am 12. Mai abgeschiktes Tempelbild langte am 30ten an, und
darum unser Dank so spät vor Ihnen, geliebter Vater. Mein Titan,
auch ein Bild aus mehren Bildern, gieng auch am 12ten ab. — Ihre
Nächte sind wohlthätiger als fremde Tage; aber möge die Vorsicht
Ihnen jene schöner geben und das feurige Auge zugleich schliessen und
heilen. Die Freude meiner Karoline, die bis zur Rührung gieng, wäre
Ihnen der schönste Dank gewesen, da Sie der meinige, den Sie schon
zu oft erlebten, nicht überraschet hätte. Guter Gleim! Ihr edles
heisses Herz tröste sich, daß es in den gemeinen Stunden des Lebens
so geschlagen wie sonst leider das menschliche nur in den lezten; und so
sehr auch der sinkende Körper Ihnen das Aussen verhülle, so denke
der bedekte unsterbliche Geist daran, daß er in sich das ewige Licht, die
Gottheit, nämlich die Liebe zu ihr, trage. —


Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Gleimhaus, Halberstadt. 1⅔ S. 8° von Karoline, 1⅓ von JeanPaul. J: Körte. B: IV. Abt., IV, Nr. 221. 151,4 da] aus wenn 8 der sinkendeKörper] aus die sinkende Hülle H

Gleim hatte ein Bild von Karolinens Großmutter, der HoffiskalinMayer, geb. Bach, geschickt, mit der er befreundet gewesen war; vgl.Briefwechsel zwischen Gleim und Heinse, hg. von Schüddekopf, Weimar1894, 1. Band, S. 63; vielleicht war sie verwandt mit Gleims Freund, dempreußischen Hofmusikus Philipp Emanuel Bach. 151, 1–3 Gleim littan Schlaflosigkeit und Augenschwäche.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_278.html)