Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Meiningen, 13. August 1802 bis 16. August 1802.
Brieftext
Heinrich! Die Freude ausgenommen, welche mir im Oktober meine
Frau auf ihren Armen und an, nicht mehr unter, ihrem Herzen
ent
gegentragen wird, weis ich
keine grössere in diesem Jahre als die,
daß ich deinen
Brief gefunden, Geliebtester. Lasset uns über das
Schweigen
schweigen. Aber wo sol ich die Rede anheben? Was hab
ich
dir seit einem Jahre nicht innerlich gesagt, aber äusserlich nicht?
Gott weis, was ich vergessen habe.
Ich bekenne geradezu meinen vorigen Argwohn, daß irgend ein
Buch von mir dich etwa von mir gerissen; — und doch war ich jeden
Monat daran, dich zu fragen und am meisten nach der Lesung
deines
Meta-Kants, den ich im Tiefsin an
und in der athletischen Dikzion,
in der demosthenischen Kette und Gewalt (impetu) über den Spinoza
seze. Es ist das jünste Gericht (Krisis) über die Kritik wie über Fichte,
wo sich die Sache mit Feuer endigt. Du hast sogar einen
neuen her
lichen Bilder- und
Periodenstyl darin. Warum nicht schon 100 Wider
legungen dagegen da sind, könt’ ich mir nicht erklären,
wenn ich es
nicht darin suchen müste, daß schon eine
unmöglich ist. Aber der rechte
Grund ist, Schreiber und
Käufer sind jezt der öffentlichen Verhand
lungen müde — jeder bekehrt sich im Stillen — alles ist schon kritische
Nachwelt und man schreibt so wenig dafür oder dagegen mehr
als
gegen und für Plato. Man kan es selber erleben, daß
man für die
selben Säze eine Mit- und
später eine Nachwelt ist; welche leztere
eine eigne
Untersuchung ihres Anfangs und Werths verdient. —
Deine
Abhandlung über den Atheismus gehört unter die säkularischen,
welche geben, oder gesezt zeigen
stat zu sezenZumal deine reichen Worte über den
Instinkt, in dem eigentlich das dy
namische Räthsel der Welt liegt.
. Verliere nur deine
Blätter, (in Hamburg gemacht) und deine Briefe nicht und ersehe
dir
einen Man, der einmal deine Phönix-Asche samlet, zu
der stets ein
Gott die Sonne sein wird. —
Ich wil dir ein wenig auf deinen Brief antworten. Hast du denn
das blosse
Laudanum Sydenh. gegen deine Migraine probiert,
das meine stets mit 7 Tropfen vernichtet? Anfangs wird sie auf
1 Minute verdoppelt. Prüfe aber das Maas; mancher braucht
12,
20 Tropfen; aber mit meinem fang’ an. — Apropos eben
heute las
ich in Otium hanov. s.
Miscellan. Leibnit. p. 14. ja ganz Lessings
Idee, sich den götlichen Sohn durch die götliche von Sich,
zu er
klären, die du spinozistisch
gewandt. — Schellings magnetische Meta
pher — dafür halt ich sein
Absolut-System, das doch in seiner Stärke
nur der Abhal
deines Spinoza ist — hab ich nicht studiert, weil diese
Vernichtung der
Ob-Subjekt[ivität] im Absoluten in
keinem System
etwas neues ist und er die Hauptschwierigkeit
vergisset, in der End
lichkeit beide zu
konstruieren. Alles Sublimieren ist jezt ein Präzipi-
tieren in jedem Sin, das Geschöpf 〈Schelling〉 frisset seinen Schöpfer
(Fichte), der Magen den Kopf (im Krebs stecken sie schon
in einander)
und dieser jenen. Fichte und Schelling giengen in Dresden
(oder Berlin)
schnel zornig aus einander. So sagt man auch in Jena, so
tief jezt
Wieland steht, so tief wird in einigen Jahren Goethe stehen bei
dem Wachsthum. Fichten wird der
Sin des Absoluten dort schon
abgesprochen. Kan denn, ohne diesen, die Philosophie auch
nur an
fangen? — Den kindlichen Ritter (eine stille Jungfrau in Gesicht und
That, dan ein
spekulat[iver] galvanischer,
poetischer Löwe) warfen sie
neulich weg, weil er nicht alles annahm; er wirft nun
sie mit ihren
Gaben weg. Auch ich achte Reinhold immer höher; nur braucht er
zu jedem Geist einen Buchstaben — wie die Vernunft und
Philoso
phie —, jezt den des Bardili,
ein Wolf nach Leibn[iz]. — Bouter-
wek ist doch freiern Geistes. Ich sah ihn hier, fand zwar
eine un
poetische kalte
zugwindige Enge in seiner starken Denk- und Lebens
konsequenz, aber er gefiel mir weit mehr als ich voraussah
— er hat
doch Kraft und den Glauben an seine. — Schelling kan sein System
überleben, denn zu jeder Zeile braucht er wie ich höre,
Kaffee, Opium
Wein und allen stärkenden SatanSo saufen sich in Jena die armen Studenten in Laudanum zu Göttern auf
und zu Thieren nieder.
. Auch die philosophischen Systeme
siechen am
Erbübel des brownischen; nämlich beide vergessen über
die erregenden und schwächenden Prinzipien das 3te, ohne das jene
nicht sind, die
basis constituens, das Ding was zu erregen ist und
was
doch auch erhaltenDurch
Arzneien dritter Art, wozu die Nahrung selber gehört. sein wil, aber
nicht durch Erregung, die ja
sonst nur ein Komparativus
ohne Positivus wäre. — Verzeih mein
seeliges
Schwazen.
Wär’ es nur möglich, dir wenn nicht einen Folianten doch einen
Quartanten zu schreiben, so könt’ ich doch sagen, vergieb
die Kürze. —
Ich fahre im Antworten fort. Dein Unmuth über
den 1. Titan hatte
wahren Grund; in Hof schon entwarf ich ihn und
mengte zwei sich
widrige Zeiten und Manieren zusammen. In ihm darf durch
aus nichts
Fixleinisch sein. Roquairol, dieses Zeit-Kind,
die hohle runde Nulle an
〈hinter〉 der Einheit des Säkuls, muste dich im 1. B., wo
er noch
für, nicht gegen Gute zweideutig erschien, auf
meine Kosten erzürnen;
sein Ende wird mich an ihm
rächen. Jezt bin ich durch Weimar und
mein Studium ganz über die Gränzen und Foderungen der
Poesie
im Klaren; wie du aus Lianens Tod und noch mehr
aus den 2 lezten
Bänden des Titans zu Ostern sehen wirst. Mit derselben
Objektivität
wil ich dan eine komische Biographie —
einen Fixlein-Siebenkaes —
anfangen, woran ich schon viele Jahre samle, worin sich die
gelehrte,
niedrige, vornehme Welt, die kleinen Hofstädte
und alle bürgerliche
Wirklichkeit mit allen Tinten zeichnen.
Schon der Gedanke daran
bringt mich in seelige Zeiten zurük.
Heiter, leicht sol alles sein, die
Satire scharf, und
doch wirst du oft weinen. Nur dies Werk und meine
philosophischen und ästhetischen Briefe vergönne mir Gott gar zu
schreiben; dan wil ich hinfahren. In jenem Werke zeig ich
zum Spas,
daß griechische Gedichte zu machen sind. Sage mir
doch zuweilen das
Schlechteste und Beste für dich in meinen Werken. —
Auf deine Frage: was denn mein Ernst hinter der Dichtung ist?
antwort’ ich: deiner. Die Stelle im Alwil, wo du von
[der] poetischen
Auflösung in lauter unmoralische Atonie
〈„Gesezesfeindschaft“〉
durch lauter Reflexion sprichst,
gab mir die erste Idee des Titans;
du kontest nicht nur
einen Roquairol dichten, sondern hasts schon
gethan. Mein Ernst ist das überirdische bedekte
Reich, das sogar der
hiesigen Nichtigkeit noch sich
unterbauet, das Reich der Gottheit und
Unsterblichkeit und
der Kraft. Ohne das giebts in der Lebens-Oede nur
Seufzer
und Tod. Mein ganzes Leben zog darauf zu, nie lies ich es,
sogar im frühern Skeptizismus, und noch hält es mich, da mir das
Leben täglich mehr verschimmelt, weil es mir
gegeben was es hatte,
alles. Nur gönn’ ich der Dichtkunst
eine grössere Freiheit als vor
hin,
(sonst wird sie ein — Hermes in Breslau); die sitliche
Schön
heit mus im Dichten nur die ausübende
Gewalt, die Schönheit die
gesezgebende haben. Meine zweite
Veränderung ist, daß ich jezt
weniger auf
Menschenliebe (ohne einen Gott und eine Ewigkeit wärs
sehr
schwer, die Menschen im Ganzen zu lieben) als auf Kraft und
Selbstachtung dringe, auch in mir. Daher ist mir Kozebue im Inner
sten widrig. Ich schade mir durch
solche Aphorismen, die immer ein
Buch erfodern. — Wenn du
im Kynosarges Bernhardis Sonet gegen
dich gelesen, wo die höchste Ungerechtigkeit
zugleich die höchste Dum
heit ist: so
sag’ ich dir, da ich ihn oft in Berlin bei mir gehabt,
daß
er wie die ganze Klasse es nicht sehr böse meint, mit Bewustsein
partheiisch ist, und daß er, der über dich und Fichte
redet, weder diesen
noch deinen — Spinoza gelesen. Wie eine widerlegte Frau,
brachte er
mir die Meinungen, die ich ihm heute todtgemacht,
morgen lebendig
wieder. — Die Einseitigkeit trägt jezt die
Fahne der Litteratur.
Bei Gott, ich folge nie dieser Fahne
und möchte sie lieber zerreissen
und verbrennen; ich werde
daher nirgends in der Poesie (wenn ich
einmal darüber schreibe) schonen oder lästern oder
angehören. — Ich
wolte, du hättest einen klügern Menschen
als den Schlabrendorf über
mich gehört, der mich noch dazu hasset, weil ich gegen ihn
für seine
vorige Frau war.
— Heinrich, nim Laudanum, ich bitte dich! Habe Dank für
deine
Belehrung über den St.
Martin; ich widerrufe sehr gern. Leider hab
ich von ihm nichts gelesen als Asmus Vorrede und hatte unschuldig
den dummen
Bode-Nikolai unter meinen Exzerpten. — Über Schillers
Jungfrau? Sie ist sein Bestes, seine h. Jungfrau.
Aber in der Ge
schichte selber ist sie doch grösser.
Gegen Schiller, den deutschen Young,
hab’ ich viel; gegen diesen brittischen Prosa-Glanz.
Lebe wohl, mein Geliebter! Du komst und kanst nie aus meiner
Seele, deine Lehren und meine Hofnungen sind die Wurzeln, womit
du mein Herz fässest. Hätt’ ich dich einmal gesehen, dan
könt’ ichs
leiden, daß ich oder du stürben. Einmal an
deiner Brust zu sein, so
viel tausend Worte von dir zu
hören, die ich so brauche, das ist mein
Wunsch und Glük,
aber meine Hofnung nicht. Schreibe bald, Hein
rich!
Wenn du nicht bald schreiben kanst: köntest du mir nicht dafür alte
halbleserliche Mspte von dir schicken? Ich bitte
dich.
Deine Stolbergsbriefe gab im vorvorigen Winter der Kapel
meister Reichard in Berlin herum und man las sie sehr billigend. —
Die von J. Müller hab
ich längst genossen. Nur weicht die Gottheit
des Jünglings vom Man.
Meine götliche Frau sol an dich wenigstens überschreiben.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_299.html)