Von Jean Paul an Christian Otto. Meiningen, 25. Dezember 1802.

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Brieftext

M[einingen] d. ersten Feiertag [25. Dez.] 1802.

Deine stummen Sünden möcht’ ich nicht auf mir haben — vom
9. Oktob. wo ich an dich geschrieben und also früher, bis 3. Nov., wo
ichs wieder, dauerten sie fort bis heute, wo ich wieder schreibe. Aber
wo denkst denn du hin? Schuldig bist du mir noch Beantwortungen
der Fragen über Liebman und das Asthmatisierende des B[ayreuther]
Biers. Dies Schweigen ist nicht recht und gut, du müstest denn
Höllenarbeiten auf dir haben. — Schreibe mir doch, was die Stelle
einträgt, die dein Bruder wil. Ich kan nichts für ihn thun und du
kanst (aber nur wenn du gern wilst) ihm sagen lassen, daß ich
mich auf meinen vorigen Brief bezöge. Wüst’ ich gewis, daß er
ohnehin die Stelle nicht bekäme: so hielt’ ich für meinen Bruder
darum an; im andern Falle dürft ichs nicht. — An Hardenberg
schrieb ich bisher nicht, weil er dem Wechmar, der für Schwendler
in den neuen Ländern einen Siz verlangte, das Gesez des Königs
schrieb, jeden nur mit einem Eingebornen zu besezen. — Legst du dir
denn nicht in deinen Schweigens-Thomasnächten — wie ich in
meinen Siesten — ein Blat hin, worauf du während derselben die
almähligen Novitäten und Contenta für den Brief samlest? —
Schreibe mir doch viele von Wonsiedel, Hof, Bayreuth. — Den
6. Dec. wurde mein Titan rein und recht beschlossen, nachdem ich
wie gewöhnlich immer wüthiger gegen das Ende fortbrausete und
kaum aussezen wolte, weil jedes Ende als Fokalpunkt alle Linien
samlet und also durch übermässigen Stof alles erleichtert. Den 12.
fieng ich den Notar an, nachdem ich in diesem durch 6 Tage Arbeit
endlich den perspektiv[ischen] alles ordnenden P[unkt] gefunden. Ich
wage oft ganze Bände hin auf die — Möglichkeit, daß ich für eine
unauflösliche Schwierigkeit schon die Lösung finde, wenn die Noth
da ist und nie mislangs. Wähle doch hier ein wenig unter den Titeln
und bezeichne die besten und dümsten. Das Notariat wie die Schult
heisserei ist flüchtiges Nebenwerk; der Held und Jurist ist die dichte
rischste zarteste und zärtlichste etc. individuelste kindlichste Seele — ganz
eigne neue griechische Gedichte geb’ ich darin — aber unbeholfen,
weltlos und unbesonnen und so scheinbar-dum wie möglich. — Der
Selbstzwang im Titan hat mich auch im Komischen gereift. Gott,
wie fliests und fliehts! (Flīz schreibt Klopstok lezteres.)

Die Krankheit meiner C. (höre, Emanuel) wurde von der ganzen
Stadt, mich ausgenommen für gefährlich gehalten, täglich kam
Dokt[or] und Chirurg[us] zweimal — Milchversezungen sind so oft
Versezungen des Pazienten selber; und hier solt’ ich Briefe schreiben?
Und schrieb doch noch dazu den Titan hinaus? In meine schönsten
Kapitel hofiert so immer der Teufel seine 〈die〉 Gegenwart. — In
Coburg weis ich (und nöthig wirds zur rechten Palingenesie) hab’
ich dich leichter auf meinem Kanapee mit Einer Lehne; es kan ein
Stük Hof werden — denn du und ich laufen ja leicht den kurzen Weg
— und man ist so ordentlich beisammen. Schreibe mir auch deine
litterarischen Novitäten. Lebe wohl! Schreite froh ins neue Jahr und
dan durch das Jahr hindurch!


[Beilage]

Das [!] vernünftigste Titel wäre: Gottwalts lächerliche Begeben
heiten und Meinungen. Aber es giebt bessere: der schwarze Spiegel,
ein historischer Roman — Protokolle, 1ter Aktenstok — Hän
gende Gärten, ein gelehrten-〈komisch-〉historischer Roman. — Die
Zwillinge (denn Gottwalt hat einen Bruder-Gegenfüsler) — Schwefel
pasten — Abgussaal — Flegeljahre. — Hirtenstücke und Mäuse
jahre — Komische Geschichtskarten, erste — Gottwalt, ein komisch
historisches Schauspiel, 1. Band — Das Buch der Seeligen, 1. Akten
stok — Verwandlungen — Konduitenlisten — Taschenbuch in
Oktav
— Der Paradiesvogel —


Für jeden dieser Titel lässet sich im Werke die volständigste Be
ziehung auftreiben. — Die Hauptstadt und Bühne heisset HaslauIch schwankte anfangs zwischen Vargula und H.
,
das Dorf Elterlein, der Fürst heisset Fürst von FläzLezteres wil meiner Frau nicht gefallen; er wird aber selten genant. Darf
ich ihn denn den 98, 99ten Hern nennen wie die Reuss.? — Anfangs wolt’ ich zu
einem Marggrafen greifen und kans noch: darf ich?
.

Antworte ja und sende dies zurük.


Die unterstrichnen Titel gefallen mir besonders.

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin JP. 4 S. 8°. (Faksimile vor dem 3. Teil der Jean-Paul-Ausgabeder Goldnen Klassiker-Bibliothek, 1908.) Beilage: 1¾ S. 4°. K (nachNr. 335): Otto — J 1: Wahrheit 6,258×. J 2: Otto 4,116×. J 3:Nerrlich Nr. 99×. A: IV. Abt., IV, Nr. 277. 193,33 und also früher] nachtr. H 194, 7 wilst] darüber kanst H 9 ohnehin] aus nichts H 11 bisher] nachtr. H 13 jeden] davor gestr. alle H 23 Punkt] das Papier ist defekt H 26 nie] nachtr. H hier] nachtr. H 29 und zärtlichste] nachtr. H 30 neue] nachtr. H 31 weltlos] nachtr. H so scheinbar-] nachtr. H 37 Briefe] nachtr. H 195, 1 den] aus am H 8 durch das Jahr hindurch] aus so hindurch H 15 Flegeljahre] davor gestr. Dichterische und danach gestr. eines Dichters H 16 Komische] nachtr. H 35 98] nachtr. H die] aus den H

194,3 f. Vgl. 170, 29f. und 160, 32. 6 dein Bruder: Christoph, s. Nr. 305. 9 meinen Bruder: Gottlieb. 23 Der alles ordnende Punkt ist dasTestament, s. I. Abt., X, Einl. S. XLIf. 195, 11 der schwarze Spiegel: vgl. I. Abt., X, 320,14 (Flegeljahre Nr. 49). 13f. Die Zwillinge: diesen Titel wählte die englische Übersetzung von 1846 als Untertitel, s. Bibliogr. Nr. 526 („Walt and Vult, or The Twins“). 17 Das Buch derSeeligen: vgl. 226, 27 und I. Abt., X, 15,37 (Flegeljahre Nr. 2). 22 Ein Fürst kommt in dem ausgeführten Teil der Flegeljahre nicht vor; denNamen Fläz hat Jean Paul für Schmelzles Reise verwendet.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_334.html)