Von Jean Paul an Emanuel. Meiningen, 11. Februar 1803 bis 16. Februar 1803.
Brieftext
Ich wil ein wenig Ihrem Briefe antworten, den ich noch nicht ge
lesen, weil er vermuthlich erst aus
Rudolstadt abgeht, wohin ihn
meine C. mir nachgeschikt, indes
ich gar nicht dahin dem Herzog
nachgegangen — aus Furcht der Schlos-Feste und aus
Sehnsucht nach
Frau und Bayreuther Bier, dessen Mangel
mich schon in Weimar
krank gemacht — sondern 8 Tage früher hieher gekommen war.
Der
Herzog verübelte mir die Trennung so wenig, daß er
seit gestern auch
hier ist und auch nicht in Rudolstadt war. In Weimar fand ich mein
altes Lebens-Italien bei dem alten Herder wieder, dessen Zunge für
mich die Zunge in der moralischen Apothekerwage ist,
so sehr auch
fremde Macht und Witterung und Eis-Schwere
falsches Gewicht ihm
unbewust in die Schaalen bringen. Kurz
wie eine Tragödie nach Aristo
teles, reinigt er mich. Aber er ist
leibes- und seelenkrank; sein geistiges
wie sein
Körp[er]Auge siech. Ich brachte ihm
einige himmelblaue
Abende an seinen Tisch. — Sonst
fand ich an Weimar nichts so
schön
als das Thor nach — Meiningen zu. Aus einer neuen
theuern
Oper — Roxelane — gieng ich und
Herder nach dem 1ten Akte,
so
hundsschlecht war sie. Mit Schiller disputiert’ ich mich in einem
schönen diner von 91 Couverts hinter dem gebognen nakten Rücken
der benachbarten Dichterin Imhof
sehr herum, aber sehr friedlich und
ich lieb’ ihn wieder etwas.
Sehen Sie einmal, jezt hab ich Ihnen kaum ¾ Stunden meines
Weim[arschen]
Aufenthalts berichtet — von Gotha noch gar
nichts — von 9 Tagen auch nicht —: gleichwohl sind schon 3
Seiten
beschmiert; und doch verlangt irgend ein
Mensch in Bayreuth oder
sonstwo, daß man ihm seine Begebnisse deutlich erzähle? So
geb’
einem der Mensch nur Papier und Ewigkeit. —
In Weimar besonders in der Kälte fühlt’ ich was ich Ihrem
Bier
verdankte. Dieser harte WinterDenn nichts ertödtet meine Nerven so sehr als ein blauer kalter Tag,nicht ein bewölkter.
hätte aus den Narben, die mir sein
harter 99ger,
80ger Bruder gegeben, die tiefsten Wunden gemacht —
ich
wäre bei Gott täglich in Ohnmacht gefallen — ich hätt’ es gerade
so viel schlimmer heuer gehabt, als
ich es gerade besser hatte als je
— wäre nicht Ihr Bier
gewesen, meine Lethe, mein Paktolusflus
(wie wohl er mir Gold mehr weg- als zuführt), mein Nil,
meine vor
lezte Ölung, mein Weihwasser u.
dergl. Kurz mit Freuden vernahm
ich, daß Sie schon wieder
ein Fäslein — Gott gebe, ein Fas —
reisefertig haben. Es
reise bald! — In Coburg brauch’ ich nichts
mehr.
Noch sind Ihre Antworten nicht aus Rudolstadt da, als wäre
lezteres — Bayreuth. So sol denn diese laufen, Lieber. Ich
hätte
gern eine Zeile Ihres Herzens gelesen — und ich hoffe, Sie
antizipieren
Ihre eigne erste Antwort und schreiben mir
früher als ich etwas von
Ihnen bekomme aus — R. Machen
Sie doch einmal — damit Sie
auch zeigen, daß Sie
uneigennüzig sein und Ihr Selbst vergessen
können — Ihr
Freundes Paar mit lezterem (dem Selbste) bekanter,
mit Ihrer
Gesundheit im Winter, mit Ihren Visiten, Fêten,
Freuden,
Re- und Evoluzionen und sogar Ihren Hofnungen.
Guter Emanuel,
aus demselben Grunde, warum Sie die
fremde Geschichte mit Liebe
empfangen und fodern, mus ja
Ihr Freund Ihre auch. Ihr Karakter
schwebt fast ohne
Geschichte vor uns, der Geist entkörpert.
Die Millionen Dinge, die ich zu erzählen habe, sollen Sie in
Koburg in Ihrer Stube hören; z. B. daß Emma seit meiner 10tägigen
Abwesenheit zehnmal stärker geworden und ruhiger
und daß alle
Prinzipien der Behandlung, Kaltwaschen,
Liegenlassen u. s. w. götlich
gesiegt. Das zarte Wesen ist
nun ein starkes, durch Regeln. Ich tanze
sehr mit ihm in
der Stube, nur hab’ ich die Tänzerin nicht im sondern
aufm
Arm. — Hier giebts keine Neuigkeiten als die meiner Brust;
und diese lass’ ich meist zu Ostern verlegen für Spot-Geld.
Sagen
Sie mir doch einmal scharf und rein Ihre Gefühle bei dem Titan;
— ich sage nicht Urtheile, denn
über die Kunst giebts keine; zwar
wohl über die Form; aber
über den Geist nicht, den nur ein Gefühl
um-〈auf-〉fasset. —
Was wird eben in Bayreuth, Hof, Wonsiedel,
Meisterliches für Poesie, Philosophie, Gottheit,
Teufelheit gethan?
Was thut und macht mein lieber Thieriot?
—
Gute Nacht, mein Alter! — Nur gerade das Bier an Meusel,
mit dem Anhang 〈Foderung〉 der Extrapost 〈Sorge〉. Ich hab
ihn
belohnt; auch thut er jezt alles, weil ich hinziehe.
Adio, Caro.
Die Schlabrendorf grüsset Sie eben sehr. Ihr Brief gefiel
ihr.
Eben kam Ihr neuester Brief. C. wird fortfahren. Ich
grüsse Otto
und werde seinen Brief, der nicht ganz so lang war als er
ausblieb,
umgekehrt beantworten.
Noch 3 Wochen lang ich mit dem Bier nothdürftig.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_347.html)