Von Jean Paul an Caroline Herder. Coburg, 22. November 1803.
Brieftext
Seit dem 9ten kan meine Emma ein
Brüderlein an den Händen
führen. Leicht wurde meine Caroline
entbunden; leicht gieng ihre
Quarantaine vorüber. Ihre Schwester aus Leipzig kam vorher
und
ist die sorgende Mutter der um sich sorglosen Mutter.
Max (Maxi
milian) ist so gesund als die Mutter, sieht ihr ähnlich (für Söhne ist
Aehnlichkeit mit der Mutter ein Diplom des Verstandes) und
sieht
viel klüger aus als sein Vater, aber nicht so
angenehm. Emma hat
die Gestalt eines reizenden Genius und ich werde ihr am Ende
noch
eine Wolke anziehen und ein wenig Regenbogen umbinden.
Sie ist
gar zu lieblich; und lief gerade an Maxens Geburtstage ganz für
sich.
Unserem guten Herder bin ich leider die Antwort schuldig.
Ich
werde überhaupt jezt ein zweiter Herder, im Schreiben leider nicht,
aber wohl im
Schweigen. Der Bruder der Herzogin v. Curland ver
fehlte mich. — Herders Krankheit und Genesung schrieb mir Emanuel;
woran war er krank? Doch nicht an Weimar? — Für die IX
te Adrastea
sag’ ich Empfängers und Lesers Dank. Im Gespräch:
Kritik und
Satire stekt von beiden viel und ich würde meinen
herlichen Lorbeer
kranz darin nicht aufzusezen wagen, wenn
er nicht vorher wäre so
scharf gedört worden, daß man ihn für
eine halbe Dornenkrone tragen
kan. H.
ist der schlimste Schalk, denn er scheint der unbefangenste und
kindlichste. Zu Michaelis geb’ ich Vorlesungen über die Kunst;
zu
Ostern Flegeljahre, d. h. einen lustigen Roman, der doch die
herliche
Luise weniger fassen wird als der wild-armige Titan. — Was
mich
besonders in der 9ten Adrastea
entzükte, war die Abhandlung über das
Epos — zumal die neue Trennung des Götlichen vom
Wunderbaren
— und der Cid, kräftig, scharf, kurz,
gewaltig in den Versen und in
Gesinnungen aufgebauet, nur leider abgebrochen. — Goethens Eu
genia ist in Rüksicht der
heiligen, ächt-griechischen und poetischen
Moralität von einem Himmel gefallen, den unsere Zeit jezt
mit
Schmuz-Wolken überdekt; er beschämt seine rauhen
Anhänger und —
sich; aber poetische Einwendungen hätt’
ich doch viel gegen das Werk.
— Unendlich erfreuete mich Herders Versprechen seiner wiederholten
Vergangenheit, nämlich der opera
omnia. Er zögere nicht, die Zeit
braucht ihn. — Man schrieb mir, der Herzog habe Zulagen für
seine
Anlagen resolviert. Gott geb’ es und der Herzog. Der König
in
Preussen schenkte einem elenden Besenbinder, der
Zimmermans-Reime
machte, ein Rittergut in Schlesien; mich macht er nicht
einmal zum
Kanonikus; mir giebt kein Fürst was; ich sol auf
der Erde nichts
haben, ausgenommen etwan Liebe und Freude,
nämlich Emma, Max
und Caroline. — Ich sehne mich
unbeschreiblich unter Ihr Dach.
Alles bei Ihnen lebe wohl!
Luise sei besonders gegrüsset; dan Amalie. Knebel habe Dank für
seinen poetischen Brief.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_427.html)