Von Jean Paul an Caroline Herder. Meiningen, 11. Mai 1803.
Brieftext
Vergeben Sie meinen verzögerten Dank für die Adrastea meinem
Wunsche, ihm den Titan mitzugeben. Der Aufsaz über die Juden
hat
mir wie dem Herzog durch seine feine, lustige, vielseitige
Gewandheit
gefallen. Eine unaussprechliche poetische indische
Süssigkeit hat die
Flora Melitta und Psyche. Der Aufsaz über die Freimäuerer
ist
mauerisch, nämlich es wird ein Schleier von einem — Schleier
abge
zogen; und das Licht raubt die
poetische Schönheit der Mysterie nicht.
Luthers Markknochen und
die Zinzendorfische ganze Nummer haben
mich sehr reich gespeiset. Gegen die Atlantis hab’ ich
bei Seite 346
nur den Einwurf, — troz des jenensischen wilden Jägers —,
daß
kein Staat und kein „Tribunal der Verständigen“ ein neues
philo
sophisches, oder medizinisches
etc. System erfinden, sondern stets
Ein Mensch. Sobald also
alte, anfangs auch neue von 1 Men
schen erfundne Systeme gelehrt werden dürfen, 〈sollen,〉 warum
nicht auch neue von dem Erfinder selber, zumal da es in der Wissen
schaft keine Majorität giebt, obwohl in
der wissenschaftlichen Sit
lichkeit? —
Man bewundert die Gelehrsamkeit des Buchs, weil man ihrer bei
andern nur in Einem Fache gewohnt ist, nicht aber in so
vielen.
Da die Adrastea eine Palingenesie und Wiederbringung des 18. Sä
kulums ist: so wil ich darin um ein
Postament für einen grossen
Todten, den nordischen Uraniden
nachsuchen, für den aus Sonnen
bestehenden Nebelflek — Haman. Herder ist dies diesem Lands
und Geistes-Verwandten schuldig.
Er begleite sein Wort über ihn
mit
einigen Worten aus ihm, damit ein solches Polar Gestirn
nicht
endlich hinter dem Gottesacker seiner Freunde
verschwinde.
Von mir weis ich nichts zu sagen als daß wir alle blühen — be
sonders ich — und daß ich Ende dieser Woche mein Dintenfas
in
Coburg aufstelle. Der Herzog, den ich so bewegt verlasse als
wär’ es
mein Jugendfreund, bot mir Frei-Quartier, die Bezahlung der
Bier
Frachten und die Anschaffung beliebiger
Bücher an, um mich als ein
kostbares Medaillon an seinem Halse
fortzubehalten. Aber er kan mich
nur dankbarer, nicht irre
machen.
Leben Sie recht froh dahin. Ich grüsse alle. Geben Sie mir bald
einige liebe Worte. Der lezte Brief von unserm Herder an
mich war
länger als ich ihm zugetrauet. — Besonders sei die holde
Jungfrau
gegrüsset!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_371.html)