Von Jean Paul an Paul Emile Thieriot. Coburg, 29. Dezember 1803.
Brieftext
Mein alter lieber jüngster Alt-Freund 〈Jung-Frau〉! Nur an
Einen könte man schreiben: ewige Geliebte oder —r GeliebterIn den Kirchen heisset der Man Gott.
, ob
wir gleich alle von einer Namens Unsterblichkeit
auf einer Erde reden,
die ja selber keine hat. — Quart
macht Worte, Sedez Gedanken, zur
Sache! Sie sind in München,
cher! — schreiben daraus, mehr
als
darüber — und denken Ihres Orts und für Ihre Person. Ich
kan
mir das denken, Ihr Denken. Ihre Fata — oder bayerische
— oder
politische — oder alle — oder sonstige — dergleichen such’
ich nie
in Ihren Schreiben, welche Sie ohne Unwahrheit
topographieren
können von welchem Postamt〈ort〉 Sie wollen;
geographisch haben
Sie überal Recht und Ihre Briefe solten
anfangen: auf der Erde,
in der Zeit.
Ihre Briefe an mich erbitt’ ich mir mit nächstem zurük, Sie werden
doch nicht Ihre Gabe stehlen; und hätten Sie den Willen, so
hätt’
ich das Recht. — Die Allemannischen Gedichte find’
ich eben in
Jakobi’s Iris auf 1804, gelobt und sogar mit 1. vermehrt, das
noch
dabei 1) Jakobi und 2) der Autor ins Hoch-Deutsche 〈lucus a non
lucendo〉 übersezt haben. Solche Gedichte kan man nicht
profanieren
wie die Schillerschen, die zugleich der Menge
und ihrem Gegensaze
zusagen; denn jene werden nur geliebt und nur verworfen, nie
nach
gebetet.
Spazieren
schlug ich blos das Loben vor, und er legte mir
es auf.
Ein herlicher, aus Hessen gebürtiger hier privatisierender 12jähriger
Junge und 4jähriger Geiger erwirbt hier jeden Beifal und —
Wunsch,
daß Sie ihn zu Ihrem Apostel annähmen für Geld —
wie? Ich hört’
ihn geigen; freilich sah ich ihn auch geigen; denn er bewegte
sehr den
Ober-Arm, was unerlaubt.
ausstreichen blos um Ihnen die Freude eines längeren
Lesens nicht zu entziehen, aber nein!
Aber die Allegorie!
Prosa und Poesie, gerade und bogige Linie
und beide einander auf
hebend! — Meine
„Vorlesungen“ halten erst auf dem 8ten Druk
Bogen und in der Definizion des
Lächerlichen, das — wenn von mir
gegen Kant und seinen
Nachdenker SchillerSchillers ästhetische Abhandlungen, die
ich sonst bewunderte, find’ ich jezt
schön und leer.
das Erhabne als ange
wandtes Unendliches 〈Vernunft〉
definiert ist — nur ein sinliches
〈angewandtes〉 Unverständiges
〈Un-Verstand〉 〈Endlichkeit〉Es ist nur ein künstliches minimum, was gar nicht im Objekte zu sein
braucht; aber wie sollen Sie mich verstehen?
sein kan. Ich habe viel zu widerlegen. Das Werk wird stark,
drängt
sich aber auf einmal mit allen Gliedern ins
Sein. Nach dem Kapitel
über die Griechen würden Sie kaum
glauben, daß ein Kapitel über
das Romantische kommen könte; allein doch! — Warlich ich
nähme
darein eine scharfe
benante
〈benamsete〉 Kritik des Titans von Ihnen
gegen Geld auf, das Sie bekämen, wenn Sie wolten! Denn ich
hätte
Gelegenheit einmal über dieses Werk
antiphonierend recht zu reden,
dessen Fokus noch nicht
einleuchten und einbrennen wil. Freund,
schreibt! — Ihren
Anti-Voß schrieben einige 〈Ortlof〉 Schlossern zu.
— Emma’n solten Sie jezt fröhlich laufen ja singend tanzen
sehen
nach dem Klavier und reden hören z. B. Spiten stat Spiz, Päpä stat
Papier, Bröd stat
Brod, äh äh stat 2er optischer
Sachen; vieles aber
spricht sie korrekt. Sie ist nun so
korrekt und herlich und sonst, daß sie
bei dem Vater ⅓ Tags
sein mus, auch wenn der trefliche arbeitet.
Welch ein Vater,
ich meine von welch’ einer Tochter! — Und Max
wird gegen Erwarten ordentlich proporzioniert-schön und
frisset sich
heraus! Scharf-geistig sah er ohnehin schon längst
aus, noch ehe seine
Nabelschnur zerschnitten war.
d. 30. Ich fodere, daß Sie die Unleserlichkeit für 4 Quartseiten mehr
ansehen, da Sie durch sie gerade noch einmal so lang zu lesen
be
kommen. Ich schliesse. Ich hätte noch
viel zu sagen; Sie noch mehr.
Machen Sie mir nur irgend einen
Begrif vom halb-welschen München.
Leben Sie wohl. Wo gehen Sie hin?
d. 31. Ich habe den Herzog von Meiningen und Herder
verloren
in diesem Jahr.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_436.html)