Von Jean Paul an Emanuel. Coburg, 27. Dezember 1803 bis 30. Dezember 1803.
Brieftext
Meinem alten Emanuel wil [ich] ein wenig
briefschreiben, ob
ich gleich erst Sonabends frankiere. —
Schon Ihr Name (mein
Gedächtnis- und Vorbrief-Buch
liegt vor mir aufgeschlagen, damit
ich nichts zu schreiben
vergesse) erinnert mich an die hiesige Prinzes
Sophie, welche mir auf Fragen nach Namen rieth (und ohne
von
Gevatterschaft zu wissen) Maxen
Emanuel zu nennen. Aber sie war
in Bayreuth und hörte von Ihnen.
= Beiliegendes ist freilich das Kleinste, was man von einer Prin
zessin — sie heisset aber Victoire — bekommen kan, indes solten Sie
mehr den Ort schäzen, wovon das Geschenk — an mich und
dadurch
an Sie — herkomt, nämlich das Knie. Ich brauch’
Ihnen nun nicht
mit so vielen Worten als ich schon gemacht,
erst weitläuftig zu be
richten,
daß angebognes Band-Trum gleichsam wie ein Polype und
Leitton den Braut- und Frauenstand der an den redlichen
(ein her
liches Wort) Prinzen von
Leiningen kopulierten Victoire, in voriger
Woche noch verknüpfte, bis das Band — fragmentarisch — vom
Knie
— auf den Silberteller — an mich — an Sie kam, wo
ich hoffe,
daß es bleibt, weil Sie jede Vergangenheit zum Bleiben und also
zur Gegenwart machen. Es sei Ihnen hiemit geschenkt.
Da nun die Cour-Nacht vorüber ist: so solt’ ich mehr vom Cour
Tage sprechen. Neun Thaler kostet mich
der — -Tag, wenn ich Hut,
Patentschnallen und
Seidenstrümpfe zusammenrechne, das Borgen
abgerechnet, was in einem besezten Degen von Wangenheim
be
stand. Es ist nämlich so: — und wird
warlich einst von mir als Bei
spiel
almähliger Inko[n]sequenz und
Herabnäherung dargestelt,
und wärs nur, um mich nicht so
wohl zu honorieren als buchhändlerisch
honorieren zu lassen
—: daß ich stets am Hofe allein ohne Degen und
Schnallen erschien und nun jezt bei grosser Cour mit
beiden kommen
muste auf Hofmarschals
Hanstein, ein liberaler Man, obwohl seit dem 17ten
Jahre am hessischen
Hofe und der mit mir über alles lacht; er ist so
jung, besonders seine schöne Frau.
Begehr, ob ich gleich künftig — das Ge
kaufte ausgenommen — wie sonst auftrete. Wer mich
Gewapneten
zuerst auslachte und nicht schonte, war der
Gewapnete selber; und
sonst jeder, der meinen satirischen
Borg-Brief an Wangenheim
darüber gelesen, d. h. der Hof. Emanuel, ach es komt am
Ende mit
mir so weit, daß ich mich nicht mehr kenne,
sondern elegant aussehe
und dum und inkonsequent und
verflucht verändert! — Ich fürcht’ es.
Doch mus ich mir das
Zeugnis geben, daß ich Mittags die eine Patent
Schnalle vom Fusse verlor und abends mit Einer wieder zu
Hofe
gieng und die Frager belehrte, ich hätte sie auf dem Wege eben (wenn
aber?) verloren. Ich bekam sie unter dem Essen zurük. Kretschman
wolte spassen über den Defekt. „Sie können mir — sagt’
ich, was ich
nachher bereuete — ja eine (Schnalle) machen,
da Sie doch mehrere
gemacht.“
Otto in militärischer Uniform — und ich mit dem Hofdegen
und
grossen Drei-Eks-Hut — einander zustossend — Sie
solten das sehen!
Ich würde doch dabei scherzen auf meine
oder fremde Kosten! — Eben
geh’ ich in die Redoute (ich as
bei dem Feldmarschal, dessen Geburtstag
etc.) — Glauben Sie nur nicht, daß ich sonderlich froh
hier bin oder
vergnügt oder zufrieden oder sonst etwas:
sondern ich habe mein
Bier ......... So weit hatt’
ich heute oder vielmehr jezt vorhin
geschrieben um 7 Uhr abends, schlich zu meiner Frau, weil
sie schlafen
solte und da gab sie mir Ihren neuesten Brief. Emanuel, kan man
sich holder
begegnen? Wie Sie, acht’ ich den Zufal, d. h. den Genius des
Als! Denn daß wir beide in 1.
Säk[ulum] geboren wurden, ist ja
dasselbe als an 1 Tage Briefe zu bekommen und zu
schreiben. Es giebt
nämlich keinen Zufal; und wer 2
Menschen und 2 Briefe chronologisch
vereinet, ist derselbe Er den man nicht nenne! Denn vor Ihm können
Briefe und Menschen nicht so verschieden sein als leztere
denken.
Gern hätt’ ich das tolle Zeug ausgestrichen, hätte nur gleich etwas
anderes dafür dort gestanden. Die Patentschnalle gab mir
noch abends
ein Hofbedienter über der Tafel. Am
Redoutenabend verlor ich beide;
eine gab mir da die
Ministers Tochter zurük, die andere gestern das
Zeitungskomtoir, worein ich den Verlust wolte sezen
lassen, als der
Fund schon von einem Advokaten hineingesezt
war, wofür ich 2 gr.
zahlen muste. — Ein Fäsgen an Sie nahm
der Fuhrman des leztern
ohne mein Wissen mit. — Herder
Gestern erfuhr ich endlich, daß er gestorben ist und so
schliesset das Jahr.
sol sehr krank noch sein. Ich fürchte
das 2te Unglük. Der Tod meines
guten Herzogs in Meiningen ist das
erste. Am 1. Feiertag abends erfuhr ichs, und der
Feiertag hatte
Feierabend. Herzlich herzlich liebt’ ich ihn
und seine Energie und
weine mit seinem Land und um sein
Land. Auf 16 Jahre ist der
schönen Uhr der Perpendikel genommen. Und doch was ist ein
solcher
Tod gegen den des Sohns Ludwigs XIV, des Schülers Fenelons. —
Das Lebewohl, mein Alter, gelt’ auch ins neue Jahr
hinüber. Der
lezte Tag des Jahrs ist eigentlich der rechte
Geburtstag; und ich
gehe da im Finstern mit Vorsäzen auf
und ab. Wir wollen uns
bleiben, Freund!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_435.html)