Von Jean Paul an Emanuel. Coburg, 18. Februar 1804 bis 26. Februar 1804.
Brieftext
Verdamt viel zu schreiben hab’ ich, Guter, wie schon aus dem
Format erhellet.
Und gerade heute mus das Meiste gesagt werden; damit Ihre
Neugierde wegen Morgen um so stärker aufstehe; denn morgen ist
der scheidende und entscheidende Tag für ein ganzes Land.
Verschieb’
ichs, so kan ich nicht mit freier
prophetischer Brust dan reden; be
sonders da ich morgen selber zuhöre bei der bewusten Konferenz.
Dennoch mögen einige Kleinigkeiten, die nicht hieher
gehören, lieber
vorauslaufen, für welche vielleicht die
Wichtigkeit der Konferenz
später keinen Raum oder
doch Zeitraum verstattet. — Das Bier ist
also treflich; die 2 Fässergen und 1 Mutterfas sind,
dieses auf Bouteil
len, jene sonst
abgezogen.
Spazier spricht in seiner öffentlichen Kritik meines
Kupferstichs etwas von
poetischer Trunkenheit des Auges. Wahr genug! Denn ich
lasse sie mir auf der
Achse durch Fuhrman Weber
und andere kommen, laut Rechnung.
6 fl. 56¾ kr. Accis- und Tranksteuer
für 4 ⅜ Eimer
(so misset man hier) wurden mir (um so mehr, da
man wegen
der Konferenz alles Geld einkassiert) höflich abgefodert.
Hier war vielleicht nie eine wichtigere Krisis; so viel sag’ ich voraus, eh
ich nachher davon zu reden anfange. — Lesen Sie doch den la Bruyére,
mehr Wiz und Feinheit und Menschenkentnis finden Sie
nirgends. —
Spaziers Briefe müssen Sie eben so anekeln als die
schwarzgeränderten
der Herder Ihnen gefallen; leztere
wirken stets einen ½ Tag auf
mich und meine Augen. — Glauben Sie, daß meine Frau auf
der
Redoute war, ja an der Hoftafel mit as, wiewohl man mir
diese
Blumen zerquetschte durch die Nachricht, welche die
Suspension
Wangenheims und der Regierung betraf, wovon besser
nachher?
Denn überhaupt erschien C.
seitdem mehrmals öffentlich, bei einem
2) Puppen-, bei
einem ordentlichen 3) Komödien-Spiel, bei einem
4) Tanz und 5) sonst, 6) beim Minister; doch das höret
auch auf,
wiewohl vorgestern die Ministerin bei ihr war, indes schon
bei mir
und andern so viel entschieden war, wie Sie nachher
lesen. Aber warum
hab’ ich soviel zu beantworten und mus
es? — Weniger in als an
Bayreuth z. B. Johannis, Fantaisie wil ich mit C. und
Kind[ern]
in einem leeren Dorfneste während der Badzeit — nicht im
Frühling —
sein, weil gerade ein solches Verhältnis
zugleich beides den vertausch
ten und den eingetauschten Aufenthalt so romantisch macht als der
Mensch braucht, um sich nicht zu henken. Bei Gott! es gäbe
seelige
Stunden, ein solches ¼ Jahr! Und ich könte alda
und von da doch
einmal auch reisen,Auch reis’ ich hier wie ein Britte sparend ab, nämlich das Bier
und Geld.
z. B. nach Hof und Wonsiedel und Sanspareil,
(wiewohl ein wahres
Sanssousi
[!] auf der Erde das einzige Sans
pareil wäre) — Nur
glauben Sie nicht, daß ich jezt eine Stadt
kente, für welche ich das an Büchern, Paradiesen
〈Landschaften〉,
Menschen, Verhältnissen reiche Coburg hingäbe. Ich sage Verhält
nissen mit Fleis; denn in einem kurzen
Schlachtfelds〈Zeit〉Raum
hiesiger Kriege hab’ ich von Hof
und Welt mehr gelernt als sonst
in 10 Jahren; und
Sie könt’ ich am leichtesten überzeugen, wenn ich
jezt
schon von der bewusten morgendlichen Konferenz spräche. Doch
bitt’ ich Sie, lesen Sie um mich zu verstehen und zu ergänzen, die
angenähten Beilagen A. und B
jezt ..... „Bier nach Wein, das
lasse sein“ sang stets der Poet Albrecht Otto in Hof nach
lezterem;
und doch ist Ihr ersteres so gut, daß ich gegen
den Sang sündige oft.
— — Die Indier hauen Giftbäume nur mit einer Maske um,
um
nicht selber umzufallen. Wangenheim, du hast keine!
A.
Ew. Wohlgeboren ist es wohl nach Ihrem BenehmenBezieht sich auf Zurükweichen und Vermeiden; und vielleicht auf das
was
ich dem Herzog für Wangenheim gesagt. Richter
zu urtheilen, sehr
interessant, das
in der Anlage angekündigte Kampfgericht den künftigen Montag
mit anzusehen und meine Abschieds-Rede mit
anzuhören. Die Konferenz wird
bei offenen Thüren
gehalten und ich will Ihnen einen Zutritt in das Vorzimmer
verschaffen, wo ohnehin alle Rendanten versammelt
sind, wenn Sie Lust dazu
haben.
Ich wolte sehr, ich hätte vor dem Montage meine prophetische
Meinung erklärt. Es war diese, daß K. entsezlich lügt —
alle Menschen
und Kollegen zu Maschinen macht wie jeder
Minister — keine Geseze
achtet als die er giebt —
das Land zur Staffel des Throns macht oder
zum Fruchtteller
auf der Hoftafel — daß er jeden überredet, den Hof
ohnehin
— daß er unter den mir bekanten Ministern vielleicht das
längste geschliffenste Zungenschwert ziehen kan — daß er fürchterlich
viel Talent hat und den Ehrgeiz ohne Ehrliebe und eine
Finanzkraft,
der nichts fehlet als ein grösseres
Land zum geistigen Saatfeld. — Ach
wie kan ich alles
erzählen bei meinem Hasse des eignen Erzählens, das
man mir
so wenig erwiedert? Die Regierung hatte vorher einen
Injurienprozes mit ihm — sie wurde vor der Konferenz dis-〈sus〉pen
siertDer
Minister lies dan en bureau die Regierung bei sich
arbeiten und
vikarierte als Präsident im Kollegio der 〈seiner〉 Kläger.
, dem Präsidenten die HausAkten genommen — bei der
1ten Konferenz sprach Wangenheim am meisten und stärksten, nante
den Erkersr[euther]
Kauf einen Betrug — zeigte einen Brief von
Voelderndorf — konte vor Krankheit kaum reden — Kr. siegte
ziemlich — der Herzog sezte ihn 〈W.〉 in seine Würde wieder mündlich
ein, abends aber bekam er wieder ein Dekret der Suspension
— er
fodert Dimission — ist krank am 2ten Konferenz Tage — am dritten
geht er wieder in die Konferenz, siegt sehr — jezt ist eine Kommission
niedergesezt und K. geht
wahrscheinlich verloren oder doch fort. Ab
gedankt hatt’ er sogleich in der 1. Konferenz. Ein
geheim. Rath Lang
vom Prinzen v. Leining sol ihm
succedieren. So stehts; und dieser
Brief sol bald fort, damit ich nicht mehr zu schreiben
bekomme, was
ich ja lieber mündlich gebe, wenn ich es noch
weis. — Ein Duel ist
sehr nahe. Die Stadt ist gespant und
glühend und darf reden. — W.
bekam von der Bayr[euther]
Regierung, von der er in der kurzen
½ Stunde seiner Einsezung im Namen der hiesigen eine
Antwort über
die Eintaxierung von Erkersreuth begehrte, eine herliche und von
Voelderndorf sogar wahre wizige Noten dazu, die ich nicht
erwartet
hätte. — Indes gehört K.’s
möglicher Sturz so gut unter meine
Schmerzen als Wünsche, weil man dem Talent bei
allem seinem
Misbrauche, sich doch moralisch zugeneigt
fühlt. — Sein Sie ver
sichert, daß ich
Ihnen nicht ⅛ erzählt habe und daß noch ein paar ⅛
mich
Bogen und Tage kosten müsten. Vielleicht aber wird die hiesige
Despotie gedrukt. Man vergiebt 〈Ich vergab〉 diese zulezt
〈bisher〉
der Kraft und dem — Bekanten viel zu
sehr, der sie gerade an uns
nicht üben kan. Der Ehrgeiz ist
eine fressende Parze der Menschheit.
Heute wird geendigt, obs gleich erst übermorgen fortgeht. Jezt ist
eine Rechnungs Kommission niedergesezt — indes alles noch
unent
schieden und K. blüht noch am Thron Gipfel. — Die neue Magd
schlug treflich ein. Aber C.
erkante nach dem Abzuge der alten deren
Vorzüge und meine im Urtheilen sehr. — Max Schönheit überscheint
beinahe schon die der Emma; ein
kostbares, kräftiges, unendlich
liebendes Gesicht von schönster Haut. Jezt wil man schon
wieder an
fangen, Aehnlichkeiten
mit dem Vater auszuwittern. — Von den
3 Stichen gehört 1
Ihnen, 1 Otto, und 1 der Person, der Sie ihn
schenken; denn Ihnen kan man kein grösseres Geschenk
machen als
eines mit einem zum Verschenken. Die Zeichnung
ist aber richtiger als
der Stich. — Einen Meerman
Regierungsadvokat aus Bayreuth
sprach ich öffentlich, einen Tropf, den ich mit
Mühe aus seiner feinen
Dumheit erst herausbrachte als ich
lange genug über die Vakanz der
Vaccaturkasse gespasset. —
Welchem Fürsten sol ich meine ästhetischen
Untersuchungen zueignen? Ich mus einen haben oder eine
Fürstin.
Ihrem König? Die Theorie des Schönen dem Man,
den Titan der
Frau? dic! — Haben Sie den
4ten Titan gelesen: so bitt’ ich Sie um
Ihre Taxazion einzelner 〈einiger〉 Karaktere. — Thieriot sol Fortu
natus Wünschhütlein lesen; ich gebe
diesem den romantischen D[oktor]
und Kardinals-Hut vor manchem andern Buch und Kopf. Wo
und
wie ist Ihr Adoptiv-Sohn und mein Maxens Bruder? — — Wenn
die Erziehung macht, daß ein Kind 〈Emma〉 den ganzen Tag springt,
lacht, singt, liebt, oder, ohne dies alles, ruhig den
Kopf an Vaters- oder
Mutter-Knie anlegt; und wenn es selber
so frei bleibt als es andere
frei lässet: was wil man mehr? Aber später kommen die
Aufgaben
des Befehlens und Gehorchens, beiden Theilen
schwieriger. — Noch
hab’ ich Ihnen auf diesen 16 Oktavseiten
— wofür ich wenigstens
8 Quartseiten erwarte — nicht
so viel gesagt als ich bei mir hätte und
von mir gäbe an
einem Gartenhausfenster des guten Uhlfelders vor
der herlichen Bayreuther Garten- und Ebenen-Sonne. Gute
Nacht,
mein Alter!
d. 29. Gestern glaubte Wangenheim und der geheime Rath
Goebel
und Feder arretiert zu
werden; aber umsonst.
Ersuche um die alten Briefschaften; unterschriebner ist die Ordnung
selber, daher er keine braucht.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_448.html)