Von Jean Paul an Johann Bernhard Hermann. Hof, 8. Mai 1785.

Zum TEI/XML DokumentZur originalen Webseite

Brieftext

[ Hof, 8. Mai 1785 ]

[Auch ich habe die Heimtükke der] Seilerischen Dienstwilligkeit
geahnet. [Wenn] Sie und der Brief an ihn [nicht] im Stande sind,
ihm das Pfand, ohne Ein[busse?] wieder abzuiagen, so ꝛc: Ich gab ihm
nur so viel in seine Hände, [ Lücke ] er unter dem Vorwand mir zu
helfen, nur sich selbst geholfen. — Ich werde sobald nicht nach Leipzig
kommen; aber wie Prinzessinnen, die sich verheirathen, wil ich mein
Bild dahin vorauslaufen lassen, das ich ohne Mühe auf 20 Bögen zu
sammendrängen werde können. Bis ich die Unordnung meines
Beutels berichtigt haben werde. In der That ich mus Ihr Freund
werden, ungeachtet ich nur gar zu vielen Grund habe, zu muthmassen,
daß Sie gar [?] eine wahre Misgeburt sind. Wenn ich erwäge, daß
zu einer Misgeburt ein Wesen gehöret, das die Natur mit Gliedern
beladet, die entweder überflüssig oder andern Menschen überhaupt
abgehen: so dürften Sie wol nicht [aus] der Liste der Misgeburten
herauszubringen sein. Sie haben z[wei Glieder,] die man bei ordent
lichen Menschen wol nicht antrift, nämlich einen Kopf [und ein
Herz ]. Diese sind nur gar zu geschikt, Sie völlig unvermögend zu
machen, wie andre Menschen zu handeln und zu denken. Glükl[ich] die
[Mis]geburt, die diese Auswüchse den Augen der Welt geschikt zu ent
ziehen weis. Aber ich wil nicht den Balken aus dem Auge meines
Bruders zu bringen suchen, indessen ich noch selbst einen Splitter aus
meinem zu ziehen [habe]; und ich wil Ihre Auswüchse gern mit dem
Mantel der Freundschaft bedekken. / Da Sie ein Arzt sind: so heilen
Sie auch Ihren Körper, der die Heilungskosten Ihrer Sele gewis
theuer bezahlen mus. —

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

K: An Herman den 8 Mai 1785. (Das Papier ist defekt; der Anfang konnte aus A ergänzt werden.) B: IV. Abt., I, Nr. 38. A: IV. Abt., I, Nr. 40. 163,34 ihn] Ihnen [?]

Hermann hatte in B die Vermutung geäußert, daß Seiler das Manuskript nur als Pfand für Richters Schulden haben wolle, mußte aber in A diesen Verdacht zurücknehmen: Seiler habe ihm das Manuskript ohne die geringste Widerrede herausgegeben, und er habe daher Richters Brief (Nr. 103) nicht übergeben. 164, 7f. Hermann hatte den Wunsch angedeutet, wenn Richter wieder nach Leipzig komme, näher mit ihm befreundet zu werden. 9ff. Mißgeburt: vgl. 147, 21–24. 21–23 Hermann hatte geschrieben, er sei „wie gewöhnlich krank“ und hypochondrisch.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_104.html)