Von Jean Paul an Johann Adam Lorenz von Oerthel. Hof, 5. November 1785.
Brieftext
Lieber Örthel,
Ich sehe dich also erst in Schwarzenbach; denn heute mus ich dahin.
Hier ist dein herlicher Eberhard, der mir noch besser gefallen
als Eulers
Briefe. Wenn seine ganze Physik auch so herlich ist, so les’
ich sie bei dir.
Die Ottos sind nun gänzlich mit dir ausgesöhnet oder vielmehr nur
der Kaufman; denn die andern waren nicht mit dir zerfallen.
Wenn
dein Herder ankomt: so lasse mir es wissen; ich reise diesem
Manne
nach von Schwarzenbach nach Töpen. Begehrest du von den
Büchern,
die ich von Rehau erhalten, unter meiner Abwesenheit einige:
so
komme her. Ich habe iezt den Zizero des Garve —
Schroekhs al
gemeine Biographie 2ten Th. bei den Ottos — Dictionnaire des
portraits historiques, Anecdotes des hommes illustres
— etc.
Dein Kamerarius hat zweimal die Todesangst ausstehen müssen.
Dein Bote trug ihn nebst meinem Mobiliarvermögen zu Gulden.
Der Junge des Gulden, den der Kamerarius an nichts
erinnerte als
an seine Verdammung, sezte ihn in das
Makulaturkästgen bei (wie
etwan im Bambergischen die
Missethäter, deren Tod beschlossen
worden, in gewisse Kästen gesperret werden) und mein Bruder
rettete
den grossen Gelehrten, dessen Verbrechen, fals er ia deren
einige
begangen, längst veriähret sind, eben von einer
nahen Viertheilung.
In Archenholz Reise durch England, die nach der Rezension herlich
sein mus, stehet diese Anekdote. In England verkaufen
bekantlich die
Bettelweiber einander krüpelhafte Kinder, die bei ihnen wie bei
andern Menschen ein schönes Gesicht, die Stelle eines
Empfehlungs
schreiben vertreten und ihren
Gewinst vergrössern helfen. Eine hatte
sich ein Kind, das
nicht sehr verunstaltet aussah, theuer angeschaft: „ein
„so
schönes Kind, sagte eine andere, für so viel Geld? Für das Geld
„hättest du den grösten Krüpel bekommen können.“
Seit der Zeit, daß du in Töpen bist, vermag ich nicht, dir einen
Brief zuzufertigen, der sich durch poetische Figuren empfähle
und einen
Rang unter dem schönen
Geschlechte der Briefe verlangen dürfte.
Ich hofte es
heute vielleicht dahin zu bringen, wenn ich schönes Papier
nähme und, da der Körper so sehr über die Sele schaltet, durch den
Körper des Briefes seine Sele schön zu machen suchte; allein
ich habe
Ursache zu glauben, daß es mir nicht gelungen und daß
du das Sprich
wort auf mich anwenden
werdest: docti male pingunt.
Leb wol lieber Örthel. Noch hab’ ich es vergessen, dir zu schreiben,
daß die Vorerinnerung, (dein voluntas dei
antecedens
) die du
deinem kaufmännischen Brief an den Otto
voransteltest, deinem
Herzen Ehre macht und mir mehr gefallen, als alles Wizige
womit du
dich hättest rächen können: diese Vorerinnerung
giebt dir veniam
aetatis und zeigt —
ich rede warlich ernsthaft — daß du dich dem
Manne
näherst.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_124.html)