Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Töpen bei Hof, 15. März 1787.
Brieftext
Lieber Herr Pfarrer,
Ich mag noch so sehr mit Ihnen im Stilschweigen um die Wette
streiten, so werd’ ich doch von Ihnen überholet. Und diesen Vorrang
gönn’ ich Ihnen weniger als ieden andern.
Wahrscheinlich haben Sie — sonst hätten Sie mir es geschrieben —
die Rezension Ihrer
Raffin[erien] in der Litteraturzeitung
noch nicht
gelesen: auch ich nicht, aber gehört hab’ ich, daß sie ihren
Tadel, dem
kein Buch entläuft, doch durch ein grösseres Lob
rechtfertigte, das sie
vorzüglich den Aufsäzen des zweiten
Theiles zuwog. Mich sucht der
Rezensent einigemale beim Barte anzufassen und dadurch meinen
unfrisirten Kopf
zu erschüttern: allein Sie wissen recht wol, daß ich
wie die
Griechen eben darum keinen Bart trage, um daran nicht vom
Feinde gepakt zu werden.
Ich sende Ihnen hier ausser einem Bücherverzeichnis, das ich mir
von Ihnen nebst den herausgezeichneten Büchern um es weiter zu
geben, heute zurükerbitte, auch Ihre eignen nach Hause. Ich
hoffe,
nach und nach in der Jurisprudenz, (zumal da ich iezt
neben einem
ganzen Repositorium iuristischer Bücher size) so
weit zu kommen, daß
ich beweisen kan, ich habe von Ihnen so oft Bücher erhalten,
daß es
offenbar ein Recht und keine Gefälligkeit sein
könne und daß eine
servitus librorum mittendorum mit Grunde zu vermuthen stehe.
Ich bitte Sie um folgende:
Französischen — oder wenn Sie’s nicht zu Hause haben, den
1 Band von Plato.
irgend einen; nicht so wol für mich als — wenn Sie ihn sich
verbindlich machen wollen — für den Kammerrath Oertel.
Vielleicht seh’ ich Sie zu Ostern und ich freue mich auf die neuen
Sachen, die Sie mir wie Christus seinen Jüngern werden
mitzutheilen
haben: wir werden in einem heterodoxen Sinne mit einander dan
das
Fest der süssen Brodte feiern.
Mich fragt ieder, ob Sie nicht fortraffiniren werden? Allein da ein
Prediger, der gegen seine Mitkollegen schreibt, ausser
dem Lohne der
Wahrheit doch auch die Strafe seines Widerspruchs
erfährt, so wie
ieder der dem persischen Könige (nach dem
Aelian) einen guten Rath
ertheilte, eine Belohnung in Golde aber auch eine Strafe mit
der
Geisel empfieng, weil er dem Könige zu widersprechen sich
erdreistete:
so werden Sie nirgends mehr raffiniren
wollen als in Ihrem Kopfe.
Gleichwol solte die A. Litt.
Rezension Sie wieder anködern.
Leben Sie so wol als einer kan, den durch Bitten um Bücher und
hole Briefe und Drohungen des Besuchs niemand mehr plaget als Ihr
J. P. F. Richter
[Adr.] A Monsieur Monsieur Vogel qui commença par changer
l’orthodoxie en fragments et finit par changer ceux de Wolffen
buttel en orthodoxie, à Rehau.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_192.html)