Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Töpen bei Hof, 15. Juli 1787.
Brieftext
Liebster Herr Pfarrer,
Hier send’ ich Ihnen den armen hinkenden Epiktet. Ohne ihn wär’
ich oft arm gewesen. Antonin redet zum Herzen, Epiktet zum
Kopfe.
Auch in diesem wird Ihnen die Widerlegung der theologischen
Fabel
begegnen, als ob die alten Philosophen die Tugend von
aller Rüksicht
auf Got losgetrennet hätten. Ich selber kan
iezt beide weniger als
sonst von einander sondern;
ohne den Aufblik zum volkommensten
Wesen ist die Tugend kalt,
oft ohne Aufmunterung und Flügel, ohne
Freude; und das
nämliche Ideal der Tugend, das ich in meinem Kopfe
aufgestellet habe und an dem ich iede andere, selbst die götliche zu prüfen
scheine, ründete ia eben erst der Schöpfer selbst: wie sol er
nicht das
Ideal der Tugend sein können, da er mir erst
meines einschuf.
„Die Tugend ist Nachahmung Gottes“ wäre eine der erhabensten
Vorstellungen, wenn nicht die Kanzeln es zu einer der abgegriffend
sten
[!] gemacht hätten.
Ich habe Lust, Ihnen im nächsten Briefe für folgende Bücher zu
danken:
haben.
könten.
Theil.
Der leztere lässet sich Ihnen empfehlen und Sie um das Versprechen
eines Besuches bitten: denn halten werden Sie es nicht. Seinen
Stok hat er nicht; schikken Sie meinen Bruder an den Ort, wo
Sie ihn
noch vermuthen. Ich bin mit der grösten Hochachtung, die ich
seit
einiger Zeit auch Ihrem Herzen wegen des Antonins schuldig
bin
Am Sontage komm’ ich und ein anderer vielleicht, der Sie blos
gelesen.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_196.html)