Von Jean Paul an Johann Christian Morus. Töpen bei Hof, 3. September 1787.
Brieftext
pp.
Ich hatte bisher bessere Dinge zu thun als daß ich schlechte zu
widerlegen Zeit gehabt: blos dies verschob meine Antwort auf Ihre
neulichen Beleidigungen auf dem Wege. Auch der Ehre des H.
Kammerraths bin ichs schuldig, einen Vorwurf abzuweisen, der
ihn
am Ende auch antastet: denn bin ich ein Lehrer des Selbstmords
und
Atheismus, was ist denn ein Vater, der einen solchen
Lehrer zum
Lehrer seines Kindes macht? Aber ich frage vielmehr, was ist
ein
Man, der diesen giftigen Vorwurf ohne Beweise einem
Neben
menschen zu machen vermag, der ihn
nie beleidigte? Ich weis recht
wol, Sie werden Ihre damalige
Feld- und Kontroverspredigt gänz
lich auf
die Wirkung schieben wollen, welche die Sonnenhize gerade
auf
Ihren Kopf gemacht: allein ich rede hier von Ihrem Herzen, das
in eine noch schlimmere Hize gerieth. Ahmten Sie damit den
sanften
liebevollen Geist des Stifters unserer Religion etwan
nach, der nie
auf Meinungen sondern auf Thaten drang, der (so wie sein
bester
Jünger) nicht irgend eine Kernlehre sondern Liebe zum
Lebensgeist
und zur Wurzel des Christenthumes machte und der nicht die
geradern
Freigeister in Jerusalem (die Sadduzäer) sondern die
heuchelnden
Orthodoxen (Pharisäer) verdamte? Und wo hab’ ich überhaupt
Ihnen
mein Glaubensbekentnis abgeleget, daß Sie es so genau zu
kennen
vermöchten, um die almächtige Rolle eines
Grosinquisitors in
Töpen spielen zu wollen? Oder schliessen
Sie auf meinen Glauben aus
meinem Lebenswandel, der auf die guten Werke, die der
rechtschaffene
Ambtsdorf für Hindernisse der Seeligkeit
ansieht, einen zu grossen
Werth zu legen scheint? Ja, wenn einer wie Sokrates lebte, dan
erst hätten Sie Recht, ihn für keinen Christen sondern für
einen Heiden
zu erklären. Sie können zwar vorschüzen, „man brauche eine
Sache
„wahrhaftig nicht eben zu verstehen um sie zu
beurtheilen und Sie
„wären recht gut im Stande (und thäten’s
die Wahrheit zu sagen
„stets), Voltairen einen Atheisten zu
schelten, ungeachtet Sie keinen
„Buchstaben noch von ihm gesehen und ungeachtet er vielmehr
einen
„Atheisten, den Verf. des Buchs Systeme de la nature vortreflich
„widerleget“; Sie können ferner sagen, es sei einmal
Ihre Art so,
widerstreitende Dinge zu gebären und z. B. zu
sagen „einer könne
„doch ein Atheist sein, wenn er auch einen
Got glaube“: allein dieses
Recht, dieses jus stolae kömt Ihnen
nicht auf der Landstrasse zu,
sondern kaum auf der Kanzel. Sie
führten neulich den Spinoza zum
Beweise, daß man einen Got glauben und läugnen könne,
ge
schikterweise an: allein meinten Sie
seine Theorie, so kan doch nur
eines von beiden wahr sein;
meinten Sie seinen Karakter (wovon wir
aber gar nicht
sprachen, weil Geistliche Sünden, die sie vergeben
können,
minder hassen als Irlehren, für die sie keine absolvirende
Hände anhaben), so ist Ihnen unbekant, daß er ein guter
mässiger
Man gewesen, der gewis nur den menschlichen Fehler
hatte, daß er
kein Bier trank. — Freigeister, Philosophen,
Heterodox[e], Natura
listen und Atheisten schnüren Sie in Einen
Begrif zusammen wie die
Türken Engländer, Holländer und ieden Europäer Franken nennen.
Daher trauen Sie iedem, dessen Seele nicht in einer
totalen Sonnen
finsternis der Wahrheit
leben wil, Vertheidigung des Selbstmords zu,
obgleich dessen
Verwerflichkeit schon Plato ohne Kentnis des Christen
thums und Rousseau ohne Gebrauch desselben
bewiesen. Ja der
Atheist mus, um konsequent zu sein, sich gegen die
Selbstentleibung
noch weit stärker als der Christ erklären. Dies
beweisen die Bauern,
die insgesamt als bekante Christen herumgehen und die dennoch
den
Selbstmord für gestattet halten, wenn man Sallat und Milch
zu
sammenfrisset. Dadurch „schlipt“ offenbar (wie Sie auch selber auf
der Kanzel in Ermangelung eines hebräischen Ausdruks sagten)
die
Milch im geplagten Magen (und das um so mehr, da die
Milch auch
schon ohne Essig im Magen gerönne) und der Mensch
bringt sich
damit, er mag noch so starker Natur sein, in 80,
90 Jahren muth
willig ums Leben, wie Sie
denn selber oft Bauern begraben haben
müssen, die wenn sie bis
in ihr spätes Alter geschlipte Milch frassen,
endlich daran
Todes verfuhren.
Ich bitte Sie, mich wegen dieses Briefs mit einiger Stärke von
der Kanzel zu werfen und überhaupt die grösten Freigeister, die
in
Paris wohnen, hier in Töpen mit
[dem] Hammer des Gesezes halb
todt zu schlagen. Den hiesigen Bauern hilft es zwar gar nichts:
denn sie
lieben nicht sowol das Freidenken als
[das] Freileben; ia vor ihren
Ohren gegen die Freigeisterei, von der nichts in ihrem Kopfe ist
als der
Name, lospredigen ist soviel als wenn sich ein
Stadtarzt auf die
Heilung der Seekrankheit legen wolte, die
auf dem Lande noch seltner
ist als ein Schif von Pappendekkel.
Ich wolte überhaupt, ich wäre
irgend wo als Pfarrer ansässig
oder hier als Kaplan: ich würde
wahrhaftig iene
neuerungssüchtigen Geistlichen (dergleichen gewis der
rehauer, der schwarzenbacher und ein näherer ist) wenig nachahmen
aber wol verkezern, da sie (wie ich in Erfahrung gebracht)
immer und
ewig Moral predigen als ob man tugendhaft sein müste
um seelig
zu werden, und da sie wie ich besorge mehr lesen als
trinken und keinen
andern Durst haben als nach Kentnissen. Ich
würde die heilige
Stätte zur Freistätte meiner Galle
und meines Kopfes machen ((wie
in Nürnberg und Paris die
verlierende Parthei in der Gerichtsstube
eine Viertelstunde schimpfen darf)); ich würde darauf
beharren, daß
Irthümer und Bier desto besser werden, ie älter
sie werden; ich würde
dem Mangel an Kinderlehren so gut wie
möglich durch Überflus an
Privatkommunionen abzuhelfen
sorgen; ich würde minder über die
Seelen als Mägen meiner
Schafe wachen; ich würde mich für klug
und die mich dazu
machen wolten, für dum ansehen; ich würde meinen
Arm so sehr
vor mir hinstrekken, bis er halb so lang wäre wie der
weltliche. —
Ich muste diese Präservazionskur mit Ihnen auf Kosten meiner
Zeit vornehmen, um Ihnen auf künftighin den Vorwurf des Atheismus
abzugewöhnen, auf den ich Sie wie Ihnen ieder Jurist beweisen
kan,
iniuriarum verklagen kan. Lassen Sie mich meinen Weg
fortziehen,
auf dem ich die Wahrheit untersuche, liebe und
vertheidige nicht weil
sie Akzidenzien zuwirft sondern
weils Pflicht ist; lassen Sie mich
glauben, daß diese Welt
mehr für die Nachahmung der Gotheit
und Christi und eine künftige erst für ihre genauere Kentnis
gemacht
sei und daß einer, der lieber Christi Gotheit beweiset als
seine Lehren
volzieht, einem Bauern gleiche, der den ganzen Tag
heraldisch unter
suchte, ob sein Her wol von
ächtem Adel wäre, übrigens aber ihm
Liebe und Folgsamkeit
völlig abschlüge; und lassen Sie mich endlich
versichern, daß ich nur Ihre Intoleranz aber weder Sie noch Ihren
Stand hasse, der der verehrungswürdigste und der entehrteste
aller
Stände ist ((und den bekleiden und beschimpfen selten
zweierlei zu
sein scheint)).
Ich bin natürlicherweise
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_197.html)