Von Jean Paul an Christian Otto. Schwarzenbach a. d. Saale, 19. Februar 1791.
Brieftext
Ueberal sieht man lieber den ganzen Menschen als ein Stük davon;
und am liebsten im Autor den Menschen. Der
Grammatiken-Schreiber
kan nichts zeigen als seine Sprachkunde
und der Semiotiker seine
Semiotik. Liesest du beide
Seelen-Hämlinge: so denkst du nur an die
Sache, nicht an den
Autor, den handhabst du nur wie Werkzeug, wie
die Gräfin an dem
Musikmeister nur von seinen Fingern Notiz nimt;
der ganze
unmusikalische Rumpf geht sie gar nichts an. Nichts ist ver
ächtl[icher], als
wenn ein Mensch in der Hand eines
Mensch[en] ein
blosses Werkzeug ist. Ein Autor ists aber nicht, sobald er zu machen weis,
daß wir die Wissenschaft mehr seinetwegen als ihn der
Wissenschaft
wegen anhören und tragen — und dies weis er zu
machen, sobald er
nicht mit isolierten Seelenkräften — gewisse
Menschen vermögen wenn
sie in einer Wissenschaft ackern, sich
nicht auf das zu besinnen was sie
aus einer anderen wissen —
sondern mit einem volstimmigen Konzert
aller Kräfte zu
uns redet und sobald er nicht blos den Kopf vorstekt
sondern
auch das Herz. Aus dem Musikmeister wird der Freund, dessen
Personalien uns dan interessieren. Von Voltaire, Kardan, Herder etc.
etc. etc. möcht’ ich sogar die Hosen, das Schlafzimmer und das
Kinds
Schreibbuch sehen; aber vom sonst vortreflichen Pütter,
Ernesti,
Baumgarten, Rennebaum keinen Fezen — was geht mich ihr
Haus
halten an?
Ich habe dirs also schon gesagt, wie sehr es mir gefället, daß du in
deiner Abhandlung (ein anders mal übertitle sie) leibst und
lebst und daß
du deinen Abgus in keinen spröden, brüchigen, sandigen Thon
sondern
in aufgreiffendes Wachs zu drücken gewust.
Ganz so hab ichs haben
wollen und so windet sich eine sonst so
trokne Materie um einen mit
Epheuschlingen herum. Am liebsten
wars mir, daß du mich mit nach
Mariakulm genommen (du wurdest
von einem ganz anderen mit
genommen) und mich als Zizerone unter den
Antiken der Natur herum
geführet
und daß du das Abendroth der Seele, nämlich SeelenRuhe,
in
deinen Landschaftshimmel hineingemalt.
Mach deine Vierteljährige Arbeit ia nicht anders; es stärkt eine
solche Einkleidung und eine solche Einwebung fremder Materie
den
Verfasser selbst unter der einförmigen Anstrengung und es
ist, als
machst du das Fenster des Schreibtisches dem
Dufte der Bäume
draussen auf.
Möser und Voltaire verstecken allemal den Kern in die polierte
Schale so, daß sie alzeit am Ende der Abhandlung noch einen
Blik
auf die Einkleidung werfen als wäre diese der Zwek und
nicht das
Mittel gewesen.
Gegen deine Vereinigung beider Meinungen ist wol nichts zu sagen.
Ein Paar unbedeutende SprachNoten hätt ich noch, z. B. du sagst
immer, (wenigstens ungewöhnlich,) die Phalanx, Klimax —
Wahl
fahrter, da man sagt Kreuz-,
Grönlands fahrer — Auf der 6ten
Seite
hätte ich fast grössere ineinandergewundne Perioden gewünscht,
wenn
es nicht vielleicht hier selbst zum Karakter des Ruhigen
mit gehörte, daß
der Flus der Rede blos viele kleine
Welgen aufwirft stat aufgethürm
ter
weniger.
Fahre so fort und schreibe etwas Kleines zwischen dem Grössern
und lies so schnel wie ich.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_363.html)