Von Jean Paul an Renate Wirth. Schwarzenbach a. d. Saale, 17. Juni 1791.

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Brieftext

Schwarzenbach den 17 Jun. 1791 [Freitag].

Mademoiselle,

Da der Himmel iezt um 5 Uhr seinen Schleier von Wolken-Gaze
auseinanderschlägt: so kan ich ihn sehen und beschreiben. Ich mag aber
nicht — ich wil Ihnen blos eine Reisebeschreibung meines Hausierens
nach einer Frau mitbringen; denn ich war ausdrüklich im Mond, in der
Sonne, im Abendstern, um mir eine zu holen. Es war aber in keinem
Planeten eine für mich zu haben, es müste denn auf dieser Erde noch
sein.


Daher ist dieses Papier unbeschnitten: denn die Männer lassen
allemal von ihren Frauen ihre Briefe rändern und ich hab weder
Scheere noch Frau.


Wie bekant brach’ ich am Johannistag 1780 zu Nachts um 12 Uhr
auf, lies meinen unverheiratheten Körper im Bette liegen und flog
aus der schlafenden Erde weg. Mein erster Flug war nach dem grösten
Stern, nach der


Sonne.

Denn ich dachte, da man alle schönen Schönen mit ihr vergleicht:
so wird droben schon was hübsches sein. Ich mochte kaum 30 Meilen
von dem Erdklümpgen wegsein, als der blaue Himmel immer schwärzer
wurde: endlich schos noch dazu die fliegende Erde unter meinen Füssen
weg und lies mich die Sonne sehen, die zu Nachts auf die amerikanischen
Köpfe stralte. Der Himmel sah aus wie ein schwarz ausgeschlagenes
Trauerzimmer mit einem flammenden Kronenleuchter in der
Mitte.


Die Sache ist so: nicht der Himmel, sondern die, 30 Meilen hohe
Luft, in der wir waten, ist blau. Wenn Sie sich fragen, warum aber die
Stube nicht blau ist, die mit Luft volgeschlichtet ist: so werden Sie sich
antworten, daß 1 Tropfen Burgunder nicht roth aussieht, sondern erst
eine Bouteille Burgunder. Über unsrer Luft draussen steht das schwarze
Himmelsgewölbe vor uns, in dem wie in schwarzer Einfassung die
Feuerkugel funkelt.


Sie können also denken, wie ich erschrak. — Da es nicht weiter zur
Sonne war als 21 Millionen Meilen — wär’ ich im Winter gereiset,
so hätt’ ich ½ Million Umweg erspart, weil da die Erde ihr näher
sizt —: so war ich in einer halben Viertelstunde droben; und in einer
halben Viertelstunde ist allemal ein Sonnenstral herunter: so geschwind
fahren Seelen und Stralen.


Ich war halb des Todes vor Verwunderung, da ich endlich in den
Feuer-See hineinfiel — nicht über den Feuer-See sondern über den
Ameishaufen Frauenzimmerseelen, die da plätscherten. Alle Frauen
zimmer sind nämlich eh sie geboren werden, da oben und Sie kommen
auch aus der Sonne. Daher kömts, daß die Augen von mancher so
brennen wie die Sonne — oder daß die Zunge so schwärzet wie diese —
oder daß ihre Nähe so warm macht wie diese. Da ich der erste Chapeau
in der Sonne war: so gieng der Teufel los — ganze Hecken und Schwärme
sezten sich um mich und blos auf meiner geistigen Unterlippe sassen deren
43,002 Seelen; das zappelte — das kribelte — das sumsete! So was
können Sie sich nicht denken und ich Ihnen nicht beschreiben.


Ganz natürlich sind in einem Weltkörper wie die Sonne, aus der
man 1½ Million Erden giessen kan und aus der auch unsre abgeschlagen
worden sein sol, Weiber in Quantität zu haben und ich durfte nur
zulangen: ein blosser Sonnenflecken — die menschlichen sind doch
kleiner — ist ja 50 mal grösser als unsre Erde. Diese Flecken sind aus
gebrante dunkle Strecken. Ich wars nicht gewohnt, daß dieser ent
sezliche Feuer-Riese sich auf seinem Absaze alle 25 Tage Einmal um
sich selber drehet, ohne aus der Stelle zu gehen; daher können die
Frauenzimmer so leicht tanzen und so unmöglich gehen. — Für mein
Leben gern hätt’ ich mir ein Schächtelgen vol Seelen mitgenommen;
aber ich dachte, bis sie nur ihren Körper so lang ausstrecken, daß er an
deinen Hemd-jabot langt, bist du selber wieder zerronnen. Hier sah
ich, daß die weiblichen Seelen da, ein wenig Flattern abgerechnet,
nichts auf die Erde bringen als Reize, Tugenden und Liebenswürdig
keiten — aber die Erde reisset ihnen die Hälfte weg; o ihr guten Geschöpfe!
wenn euch schöne Maiblumen des Himmels nicht die Lage und Er
ziehung so verböge, so zerschlizte, so besudelte: welcher Engel würd’ euch
nicht an seinen Busen stecken und in welchem Himmel köntet ihr nicht
blühen!.. Sehet nie zur Sonne hinauf, ohne das Auge so rein empor
zurichten als der Stral ist, der von ihr in dieses fliegt..... Eine einzige
Seele stahl ich doch der Sonne — die schönste — die beste — die
sanfteste; da sie aber nicht aus meinem Kopfe heraus kan und nicht
ein Stükgen Körper umhat: so kan ich sie keinem Menschen weisen;
aber vor meiner Seele steht sie den ganzen Tag und iene schlägt die
Arme um sie: alle verkörperte Frauenzimmer gefallen mir nur, in so
fern sie schwesterliche Aehnlichkeit mit meiner gestohlnen haben.... Sie
waren schon herunter: sonst hätt’ ich Sie mit eingepakt … — Gefället
Ihnen diese 1te Stazion meiner Heirathsreise: so gefället sie mir auch
und ich beschreibe über 8 Tage die 2te.


Ihr
wahrer uneigennüziger Freund
Fr. Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin acc. ms. 1895. 76 (derzeit BJK). 4 S. 4°. J: Täglichsbeck S. 25. 341,24 also] nachtr., versehentlich vor können 342,3 43,002] aus 43,001 19 die Hälfte] aus alles 21 f. würd’ euch … stecken] aus stekte euch … 28 iene] aus diese

Renate hatte wohl um Unterweisung in Himmelskunde gebeten. 342, 24—30 Vgl. I. Abt., III, 301, 11—15 †.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_379.html)