Von Jean Paul an Renate Wirth. Schwarzenbach a. d. Saale, 16. August 1792.
Brieftext
Mademoiselle,
Ich befürchte weniger daß Sie auf mich zürnen als daß Sie mich
ganz und gar vergessen haben: ich that keines von beiden und
schrieb
doch — nichts, wegen 1,000,000,000 Hindernissen, die
ich Ihnen
einmal in eben so viel Abenden mündlich sagen
wil.
In den bunten, unter der Sonne blizenden Strudeln von Visitten,
die jezt über Sie zusammenschlagen, können Sie wahrhaftig nicht oft
an den alten grauen Flausrok denken, der sonst mit Ihnen unter
dem
Fenster moralisierte. — Die Bayreutherinnen, die unsern
Jahrmarkt
verschönerten, und vielleicht auch die Wucherin lobten Sie so sehr als
wenn jene nicht aus Bayreuth und Sie nicht aus Hof wären.
Von der Wucherin, deren schöne Taille, deren Angesicht, das, ohne
Koketterie, von Liebe überfloß und deren einfachen Anzug ich
nur im
Fluge aus einem Fenster gesehen und die hier sogar von
denen Schönen
gelobt wurde, die weniger Vorzüge haben — von
dieser schreiben Sie
mir recht viel schönes und das Schönste,
daß Sie ihre Bekante und
Freundin sind.
Jezt von der Wucherin zu mir — ich wolt’ es wäre kein Sprung.
Mein Roman wird zu Michaelis mit Kupfern und Chodowiezky in
Berlin sehr schön gedrukt: ich bekam dafür 530 fl. rh., thut
100 Du
katen, ungefodert und bekam was noch mehr
ist, in Berlin einige
Freunde mehr, die es im Manuskript
lasen. Liebe Renata, auch Sie
müssen von der Seite des
Herzens den alten Flausrok erst aus seinem
Buche kennen
lernen. Jezt bei so vielem Golde und Silber wäre der
Flausrok
ein Nar, wenn er vernünftig bliebe; aber das thu’ ich schon
nicht, sondern ich habe über 40 rtl. schon aufgewandt, meinen alten
Körper und Adam zu kouvertieren und zu verzinnen, wie ich denn
nächstens Ihnen in Bayreuth mich mit Bänderschuhen und
drei
eckigem Hut und Gesicht präsentieren
wil.
Es ist alles mein Ernst und in 14 Tagen erblick ich die Eremitage
und die Renata, die vielleicht nicht viel hineinkömt.
Und so leben Sie wol und schweben Sie mit Ihren Schmetter
lingsflügeln um jede giftlose Blume und kein boshafter
Knabenhut
falle auf den frohen Sommervogel. — Jezt fället mir
die Gefahr, in
deren Klauen schon Ihr Leben gewesen ein und ich
bin froh daß ich
nicht in der Stunde, wo mir Ihre F. Mutter die
Räderungsgeschichte
erzählte, an Sie schrieb: mein Inneres zitterte und ich war
über meine
Augen nicht mehr Herr. — Leben Sie noch
einmal wol, theuere Freun
din, und bleiben
Sie diese und empfangen Sie mit einem frohen
Angesicht den
Besuch
Fried. Richter
N. S. Liebe Freundin, schreiben Sie mir innerhalb 8 Tagen nur
3 Worte über Ihr und mein Schweigen.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_405.html)