Von Jean Paul an Karl Philipp Moritz. Schwarzenbach a. d. Saale, 9. August 1792.
Brieftext
Nicht nur meine Hofnungen, sogar meine Wünsche haben Sie
alle
erfült..... um Ihnen mein dankendes Herz aufzuschliessen — ach
wie wenig kan ein Mensch für den andern thun, die Worte der Liebe
sind wie die Umarmung der Liebe: Körperschatten fliessen in
einander,
aber die inkrustierte Seele schlingt mit
vergeblichem Sehnen den Arm
um einen — Gedanken. — daß
Chod[owiezky] unter meinen bio
graphischen Lak seine Zeichnungen legen
möge. Die Szene, wo die
Gesichter und das Schachspiel zerstört
waren — Ich sehne mich nach
Ihnen,
Theu[erster]: ich würde über diese
Sehnsucht so gut wie über die
seit vielen Jahren
herumgetragne, Herder zu sehen, Herr geworden>
[sein], hätten Sie ihr nicht das Ziel so
nahe und die Flügel so gros
gemacht. Ich habe Stunden, nicht
Tage, wo Ottom[arische] Ideen
mich niederfällen; und in dieser Verfinsterung hab’ ich kein
Licht als das
Angesicht eines Menschen, das zweite Ich hebt
meines und das fremde
Leben wächst in meines; aber
[?] wenn ich erst in das Antliz schaue,
wo einmal der Wiederschein der Schöpfung Hartknopfs war.
Hier
fället mir Sophia
[ein]; und verwandelt meine eigennüzigen
Wünsche
in uneigennüzige. Wenn Anton Reiser einmal glüklich ist, so
ist ers
mehr als ein andrer, weil die Phantasien, die einmal so
kräftig wider
den Strom der äussern Lage schwammen,
desto schneller mit ihm
fliessen müssen. Und du glükliche
weibliche Seele, die du ein Herz, das
ganz Deutschland lieb geworden, zu deinem Eigenthum bekamest
und
eine Brust [vol]
Liebe, von der wir nur kurze Ergiessungen erhalten,
allein an
dich drükst: du verdienst dein Glük, denn sonst hättest du es
nicht; der Himmel sinke nicht blos mit seinen Freuden sondern auch mit
seiner Ewigkeit in deine Arme und deine zarte, beglükte,
beglückende,
weinende Liebe belohne ein Herz, das die Menschen
so oft zerrissen
haben. Ewig Ihr Freund.
N. S. Hört denn unser Briefwechsel mit seinem Anlas auf?
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_404.html)