Von Jean Paul an Karl Philipp Moritz. Hof, 27. März 1793.
Brieftext
Geliebter Freund,
Sie schrieben bisher nur an mich, wenn Sie mir gerade eine Gefällig
keit erwiesen hatten; und ich schrieb, wenn
ich für eine dankte oder eine
begehrte. Jezt thu’ ich
beides auf einmal, indem ich Ihnen noch einmal
danke, daß Sie
mir das Buch entpuppen halfen, das jezt in der Welt
wie ein Schmetterling in einer Kirche flattert, und indem ich
die Bitte
thue, die das Publikum thut — zu schreiben.
Sie mögen meinem Romane, den Ihnen H. Mazdorf geben
wird,
selber die Einkleidung wählen, da Sie dieses schon für
Romane in
einem edlern Sinne zu thun gewohnt sind.
Wenn ich am Ende des Jahr[s] 1793 meine
guten Tage überzähle:
so werd’ ich anfangen: „ich war erstlich
in Berlin etc.“
Man muß an Individuen denken, wenn man schreibt, so wie man
der Frau anräth, ihr ungebornes Kind durch den Gedanken schöner
Menschen zu verschönern. Und da ich an drei Kritiker auf
einmal denke,
worunter mein Otto und Forster gehören: so wird
meine zweite
Biographie Ihrer Aufmunterung wenigstens in dem Grade würdig
werden, den meine kleinen Kräfte suchen können.
Aber jezt geht es dem Gefühl beim Schreiben wie beim Spazieren
gehen: der blaue Glanz über uns umzieht sich mit den
Pulverwolken, in
denen man uns jezt die Göttin der Freiheit
entzieht — die bethauete und
die keimende Erde erinnert uns
jezt nur daran, daß sie an Völkern, wie
ein Vampyr
liegt und Opferblut saugt — und wir stehen in unsern
trüben
Tagen an dem grossen Grabe, unter dem die im Sarg erwachte
Freiheit poltert und heraus wil und sich Wunden reisset.
— Leben Sie ewig wol; und denken Sie — schreiben Sie, hab’
ich
nicht das Herz zu sagen — an Ihren
J. Paul Fried. Richter
[Adr.] S. Wohlgebohren des H. Hofrath Moriz in Berlin d. Einschlus.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_420.html)