Von Jean Paul an Christian Otto. Schwarzenbach a. d. Saale, 11. März 1792.
Brieftext
Lieber Otto
Deinem historischen Gleichnis verdank ich einen freudigen Morgen.
Jezt, da die Hize und Anziehungskraft eines glühenden Zepters
immer
tiefer auf uns niedersinkt, bekömt das Bild der
Freiheit, das man seit
Jahren im Kopfe abnuzte und das aus der
Geliebten zur Ehehälfte
wurde, neues Interesse durch seine
Bestürmung; und die Freiheit wird
uns durch alles lieber, was
wir von ihr verlieren. Man solte die
Tugend verbieten, damit
man sie suchte.
Dieser Aufsaz ist von allen kleinen Sommerflecken deiner vorigen
gänzlich frei: ich weiß nicht, hat der Gegenstand oder dein
Studium
des zusammengepresten Engländers oder das mehrere
Schreiben die
fremden Bestandtheile, die oft den besten Spiritus der Autoren
trüben, niedergeschlagen. Unsere Schriftsteller haben sich
von den
2 La Bonne’n und
Gouvernanten der deutschen Sprache, (der römi
schen und griechischen, die unsre reden
lehrten) auch die Weitschweifig
keit derselben angewöhnt; daher die
grossen Freunde und Leser der
Alten auch so weitschweifig
reden wie die Alten im antiquarischen und
physiologischen Sinne (z. B. die Engländer, diese Freunde der
Alten:
die Franzosen auf der andern Seite, die wahren
Antipoden derselben).
Ich habe also an deinem Aufsaz schlechterdings nichts zu
rügen, sein
Ton übertrift die Kürze
und Deutlichkeit und Lebhaftigkeit
aller
deiner vorigen völlig: blos 1 Ort bezeichnete ich mit
einem Todten
kreuz, wo man dich zwar
versteht, aber nur mit einem neuen Sprung,
der einen
aus dem ruhigen Gange stöhrt. — Was mir am meisten
gefiel,
strich ich am äussersten Rande ein wenig an; obgleich alle
Revoluzionen miteinander gemeinschaftliche Aehnlichkeiten
haben: so
haben diese 2 doch so ausschliessende, so auffallende, daß die
Wahrheit
oft (wie z. B. bei Augustiner Mönch und Adel etc.)
zum Wize wird. —
Schicke den Aufsaz jezt, wo er das meiste Interesse und
den meisten
Nuzen hat und ehe dein Gedanke in einem anderen
Kopfe auffliegt, in
ein Journal ein. — Freilich wird die
Druckerpresse einige deiner
Wahrheiten mehr zusammendrucken
(z. B. du müstest die Kontra
minen der
Hierarchie auf dem vor-vorlezten Blatte so beziehend als
möglich schildern, aber die des Thrones auslassen, ein Paar nicht
deutsche Züge ausgenommen. —
Um dein leztes Urtheil über mein Buch bitt’ ich dich auf den Son
abend sehr. Vom ersten Urtheile befürcht’
ich die Zurüknahme weniger
des Tadels als des Beifals. Eile,
damit ich eile. Ich kan die Volständig
keit
deiner vorigen Rezensionen nicht begehren, bei 60 Bogen: also be
ziehe dich nicht auf Sektores, sondern nur auf Nummern (ich
kans
auswendig und finde mich schon in deine Zitazionen)
und merk’ blos an
Dunkelheit — Karakter-Verstösse — Fehler des
Plans — Unter
brechung des Interesse (z. B.
die 3 Briefe Gustav’s bedürfen, wie die
fürstliche und Bousische Verführungs-Szenen eine gänzliche
Einschmel
zung). — Es ist so leicht, den Leser zu
interessieren — ohne Wiz, ohne
Empfindung, ohne
Wahrheit, durch blosse Geschichte wie es auch eine
Stadtanekdote thut, oder wie zum Theil Schulz es in seinem Moriz
durch zusammengerükte Begebenheiten thut, einige Bemerkungen
aus
genommen, die aber das Interesse
mehr entschuldigen als geben — so
leicht also, und von der
andern Seite so unwürdig einer menschlichen
Anstrengung, daß mir mein zu schwerer Zwek, Empfindungen und
Wahrheiten darzustellen, lieber ist als jeder andre, den ich besser
erreichte. — Ich werde, wie im Handeln, so im Schreiben,
meistens dir
gegen mich recht geben; aber vielleicht werd ich
zu Aenderungen, die
die Kritik befiehlt, nur den Willen, nicht
das Vermögen haben u. s. w.
Es ist ½ Zwölf Uhr. — Also am Sonabend, am Sonabend — um
½ 4
kom ich, da liegts schon auf der Kommode, ich lob’ dich dan am
17 März und werde sagen: „ich hätt 100 rtl. darauf gewettet, er hat
wieder nichts fertig, Fabius
cunct[ator].“
Noch ein Wort: im Vivats-Konzert war ich gerade mit niemand
mehr unzufrieden als mit mir, und mit niemand weniger
als dir und ich
lobte dich ein Paarmal innerlich … Siehest du,
so sind deine Syllogis
men aus dem Zufal;
ich mach’ es aber eben so und noch mehr.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_384.html)