Von Jean Paul an Christian Otto. Schwarzenbach a. d. Saale, 25. Februar 1792 bis 26. Februar 1792.
Brieftext
Lieber Otto!
Endlich ist nach einem Jahr die konvulsivische Geburtszeit meines
Romans vorüber. Ich wolt dir tausend Dinge sagen; folglich
kan ich gar
keines. — Wo fang’ ich an? — In der künftigen
Woche, wo ich nichts
zu thun habe, wil ich über
meinen und alle Romane reden. — Apropos:
auf dem Titel des
meinigen steht mit „romantische Biographie“.
Ich kont’ es nimmer erwarten, ihn dir zu geben — also bekömst du
ihn mit allen Lücken, mit allen Mängeln, die ich selber sehe
und aus
Minuten-Armuth stehen lassen muß, und mit leeren
Seiten und ohne
satirische oder philosophasterische
Digressionen. Ich wil es doch noch
einmal sagen: daß ich
ihn noch nicht korrigiert habe und daß die lezten
⅔ der
erste Ausbruch aus meiner Konzept-Feder sind.
Wie ein Vieh hab ich diese Woche geschrieben — der Appetit ist
längst fort — je näher man dem Ende kömt, desto krampfhafter
schreibt man und ich, der ich sonst alle 2 Tage
schrieb, brütet täglich
2 mal daran.
In acht Tagen sei so gut (ich kans nicht erwarten) und schreibe mir
ein algemeines Urtheil darüber: das entwickelte kanst du
eine Woche
später fällen. —
Dieses Pak ist die Ursache warum dein Buch oder ich gestern nicht
kam. — Und doch hatt’ ich gestern nicht so viel Zeit, nur die
Kapitel
zu numerieren: ich habe deswegen unten mit Bleistift
die Hefte
numeriert; leg es aber doch nicht so sehr aus
einander, sonst kanst du
dich in den Wirwar nimmer
finden. — Halt es nur bis zum 21 Sektor
aus: dan läuft das
Interesse schon mehr zusammen. — Uebrigens
kanst du vorn
keine einzige Szene herausziehen, ohne daß hinten alles
zusammenfält, weils Werk ist wie meine Hosen, wo eine Masche alle hält.
— Es versteht sich, daß unser Alter es auch lesen kan, wenn er wil. —
Bis Sonabend hast du es hoffentlich wenigstens
durchgeflogen — und
mir wenigstens ein Paar Zeilen darüber
geschrieben. — Ich wolt noch
1000 Dinge sagen — meine
unvortheilhafte Lage für einen Roman
schreiber — daß ich ferner keinen einzigen lebendigen Karakter brauchen
können, kaum etwas vom alten Oerthel ausgenommen — daß ich
leider die obersten Stände,
die ich selber nicht gesehen, zu schildern
mich erfrecht,
(worüber ich die 2 Entschuldigungen habe, daß meine
meisten
Leser auch nicht da waren und daß andre Autores es auch so
gemacht und daß doch aus allen gedrukten Kopien des Hofs eine
einzige werde zu machen sein —) und daß ich alle Szenen, sie
mögen
immer meine Kräfte überstiegen haben, doch
geschildert, anstat daß
andre darüber wegspringen. Denn es
giebt eine Menge Mittel, den
Leser um die Schilderung
mislicher Szenen zu bringen. — Übrigens
ist dieses Pak ein
corpus vile, an dem ich das Romanenmachen lernte:
ich habe jezt etwas bessers im Kopfe! — Ist an den auf
andres Papier
geschriebnen Szenen nichts — dem Eintrit aus der
Erde in die Erde —
an der Szene auf einem Berg in einem
Park während eine Orgel
geht — an denen mit der Residentin,
die mich die meiste Mühe ge
kostet und noch grössere kosten werden
— an der Badzeit, an dem
Tage auf der Molucke Teidor — so
ist der ganze Bettel nichts werth. —
Blos die zwei
Hauptkarakt[ere] hatt ich darin zu
entwickeln Zeit. —
Behandele mich mit Strenge, aber doch nur mit so vieler als der
Werth des Buchs aushält: hält er gar keine aus, so must du
mich
loben. — Wenn nur die 8 Tage weg wären! Ich
versich[ere] dich,
ich werde zu Hause ordentlich erröthen wenn ich mir denke,
jezt ist er
da, jezt da!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_383.html)