Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Hof, 11. Dezember 1784.

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Brieftext


Hochehrwürdiger und Hochgelehrter Herr,
Hochzuverehrender Herr Pfarrer,

Mein Bruder wird Ihnen die vier Lehrmeister in der Serviette
getragen bringen, die Sie meiner Belehrung gütigst verwilliget.
Ihre Bibliothek ist meine Akademie und ich darf bei allen Ihren
Büchern Kollegien hören, die ich obendrein gratis bekomme. Allein in
Ihrer Bibliothek ist die Stelle eines Professors, der mit theologischem
Räsonnement zugleich Wiz verknüpfet und der Theologie stat ihres
schwarzen Roks ein schönes Galakleid schenket, seit Erasmus Tode
unbesezt geblieben; und wahrhaftig diese wichtige Stelle darf nicht
länger ledig stehen als höchstens bis zur künftigen Ostermesse. Ich
ersuche daher Ew. Hochehrwürden, daß Sie mich zum Muster im
Fleisse sich vorstellen und nicht sogar [!] saumselig als es leider Ihre
Gewohnheit ist, in der Verfertigung ienes Professors, mit dem Sie
iene Stelle längst hätten besezen sollen, zu Werke gehen möchten: denn
ohne meinen Nachtheil kan ich die Hörung eines solchen Professors wol
nicht länger anstehen lassen.


Den Latitudinarius und seinen Antagonisten hab’ ich von Leipzig
verschrieben und hoffentlich sollen sie nicht zu spät anlangen.

Über eine Vignette Ihres Buches hab’ ich nachgedacht; aber bisher
hab’ ich — vielleicht weil ich weis, daß ich ia noch länger darüber nach
denken kan — noch nichts als dies herausbringen können: Ein Adler,
(eine heraldische und naturhistorische Anspielung zugleich!)
müste mit seinen dem Lichte ofnen Augen gegen die Sonne fliegen. Sie
stünden dort und gäben dem Verfasser der Berliner Briefe entweder
ein Seherohr in die Hand, oder stächen ihm den Staar, um ihn fähig
zu machen, mit seinem Blikke dem Fluge des Adlers zu folgen. Oder
wollen Sie dafür eine Nachteule sezen, die dem steigenden Adler nach
zusehen versucht? — Übrigens solt’ ich beinahe hoffen dürfen, daß es
mir so schwer nicht werden würde, Ihnen in der Folge noch verschiedene
Erfindungen mitzutheilen, die wenigstens eben so dum als die gegen
wärtige wären.


Jezt komt meine alte Bitte wieder; um folgende Bücher:


  • Pragmatische Geschichte der Mönchsorden.
  • Denienigen Theil des (vortreflich übersezten) Plato, worin seine
    Republik befindlich ist, den zweiten glaub’ ich.

  • A. Deutsche Bibliothek 59. B. 1. St. oder auch des iezigen An
    hanges 1. oder 3. Abtheilung.

  • Bielefelds Staatswissenschaft.
  • Den Pausanias oder Plinius Naturgeschichte.

  • Schikken Sie mir ausser diesen Büchern noch etwas, was mir lieber
    ist als manches Buch und was in der That selbst ein geschriebenes Buch
    ist wiewol nur zwei Blätter stark, nämlich einen langen langen Brief.
    Ich wünschte, ich hätte Zeit genug, dem meinigen einen schönern
    Körper (wiewol wir beide haben das iüdische Zeremonialgesez schon
    abgeschüttelt und brauchen unsere Briefe nicht mehr zu beschneiden)
    und eine schönere Sele zu geben: besonders wünscht’ ich, ich hätte ausser
    der Zeit auch Wiz genug, der Versicherung eine neuere Wendung zu
    geben, daß ich bin

    Hof den 11 Dezemb.
    1784.

    Ew. Hochehrwürden
    gehors. Diener und Freund
    J. P. F. Richter

    P. S. Meine Mutter räth mir an, die Höflichkeit doch nicht so ganz
    aus den Augen zu sezen: sondern ein schönes Postskript auszufertigen
    und in demselben Ew. Hochehrw. glükliche Feiertage zu wünschen; ich
    stelle aber meiner Mutter vor, daß ich Ihnen lieber glükliche Wochen
    tage wünschen wil, deren es doch mehrere giebt. Dafür ersuche ich
    Ew. Hochehrw., daß Sie auch höflich sind und mir Verschiedenes
    wünschen, unter andern dies, daß ich oft von Rehau Briefe bekommen
    möge; iedoch kein Wunsch trift ein. Ihrer lieben Gemahlin, die ich
    iezt mit einem h schreibe und an welche ich Sie mich zu empfehlen bitte,
    wünsch’ ich zum neuen Jahre, daß ein gewisser Herr Richter aus Hos
    selten nach Rehau komme: denn der verursacht stets Beschwerlichkeiten,
    er mag kommen oder schreiben und wil immer was haben, bald Essen,
    bald Bücher, bald gar — Briefe. Einige Leute schliessen ihre Post
    skripte mit Adieu.

    Textgrundlage

    Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956.

    Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

    H: Brit. Museum. 3⅓ S. 4°. K: 17. An H. Vogel. Den 11. Dez. J 1: Wahrheit 3,329×. J 2: Nachlaß 3,247. A: IV. Abt., I, Nr. 33. K hat viele kleine Varianten. 139,2 eines solchen Professors] ienes Kollegiums K 140,1 Mutter] Mama K 10 Her K

    139,4 Latitudinarius: Richters Aufsatz „Über die vielen Religionen in der Welt“, der in den „Raffinerien“ den Titelzusatz erhielt: „Von einem Latitudinarier.“ Mit dem Antagonisten sind Vogels kritische Bemerkungen zu dem Aufsatz gemeint. 11 Vogel polemisiert in den „Raffinerien“ gegen die „Briefe aus Berlin über verschiedene Paradoxa dieses Zeitalters“, Berlin 1784, ein gegen die Aufklärungsbestrebungen Josephs II. gerichtetes anonymes Werk. Richters Vorschlag blieb unausgeführt. 20 „Pragmatische Geschichte der Mönchsorden“, Leipzig 1774—84, 10 Bände (von L. G. Crome); Exzerpte daraus im 9. Bande von 1785. 21f. Platos Werke, übers. von J. F. Kleuker, Lemgo 1778—97, 6 Bände. 26 Vgl. A: „Plinius Naturgeschichte muß wegen ihrer Riesengröse auf einem Wagen abgehohlt werden.“

    How to cite

    Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_87.html)