Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Hof, 20. März 1785.
Brieftext
Hochehrwürdiger und Hochgelehrter Herr,
Hochzuverehrender Herr,
Die Christen des vierten Jahrhunderts (und noch iezt thun es die
griechischen) löschten in der Vigilie vor Ostern alle Lichter
aus und
zündeten mit Feuer, das sie für himlisch hielten, eine
gewisse Kerze an,
die sie cereus
paschalis hiessen. Ich habe diese Ähnlichkeit geschikt und
ungezwungen an den Lokken herbeigezogen, um Ihnen zu sagen, daß
es
sich wol für Ihren Verleger schikte, sich einige Mühe zu
geben, daß
ich Ihr Buch zu Ostern bekäme, von dem ich den Gebrauch eines
ge
weihten Osterlichtes machen würde, um dabei zu sehen. Wenn
ich
ein Jude wäre: so würde ich wol gar Ihr Osterbuch mit einem
Osterlamme vergleichen, dessen Genus ich begehrte.
Von den vielen Büchern, die ich aus meinem Leihhaus des
Wizes,
ich meine aus Ihrer Bibliothek entlehnet habe, schikke
ich Ihnen einige
dankbar zurük. Da Ihre Freigebigkeit
beinahe so wächst wie meine
Zudringlichkeit: so bitte ich Sie
noch recht sehr um folgende:
und — in dieser Bitte erfüllen Sie mir soviele als zehn zugleich —
Müllers Zenturien
rerum memorabilium,
wenn ich anders
den Titel von dem grossen Folianten richtig behalten habe, der
soviele
unbekante Merkwürdigkeiten aufbewahret. Auch hab’ ich,
um seinen
Transport zu erleichtern, meine zween Brüder
auf einmal geschikt.
Nun noch zu einer Sache, von der unter uns beiden selten die Rede
sein kan. Denn so viel wir auch von Köpfen reden, so kommen wir
doch niemals auf
dieienigen Köpfe, welche nichts als Gold oder Silber
verewigt,
d. h. auf die fürstlichen d. h. auf das Geld. Meine Mutter
hat mir nämlich aufgetragen, Sie zu bitten, daß Sie
von irgend
Jemand ihr ungefähr 25fl. auf Obligazion
auszuwirken die Güte haben
möchten oder daß Sie, fals niemand
diese Gefälligkeit hätte, sie durch
Ihre eigne ersezten. Auch
mit der Hälfte der Summe würde sie iezt, bis
die zwote
nachfolgte, vorlieb nehmen. Sie kan diese zudringliche Bitte
mit nichts als der Zusammenkunft nachtheiliger Umstände
rechtferti
gen, die sie ausser Stand
sezen, die Ausgaben, welche meine Brüder
und das bevorstehende Osterfest ihr machen, mit ihrem Vorrathe
zu
bestreiten. Vielleicht bewilligen Sie mir eine Bitte, an
deren Glükke
mir so viel liegt und deren Gewähr ich nicht
vergessen würde, wenn
meine Mutter die Schuld auch
schon wieder abgetilget hätte. Möchte
Ihr Brief die Abdrükke
von zweierlei Köpfen mitbringen! Ich meine
den Abdruk Ihres
eignen Kopfes und die Abdrükke von fürstlichen
Häuptern: beide
sezen eine grosse Länge Ihres Briefes voraus.
Ich bin
Ew. Hochehrwürden Hof den 20 März1785.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_97.html)