Von Jean Paul an Max Richter. Bayreuth, 10. Mai 1821 bis 11. Mai 1821.
Brieftext
Mein guter Max! Deiner verbesserten Hand kann ich nun wieder
schreiben, aber nicht fassen kann ich sie, wie ich doch
hoffte; denn ich reise
in diesem Frühling nicht. Zum
Reisen brauch’ ich festen blauen Himmel;
dieser
wird aber wöchentlich unterbrochen werden durch Strichgewitter;
höchstens im September ist Hoffnung zur Bläue und Reise.
Überhaupt
ermattet mit meiner Lebens Lust meine
Reiselust; und das Schönste
aller Reisen hatt ich doch in
Heidelberg zum 1ten male.
Auch hab’ ich
für 2 neue Auflagen und sonst so gar viel zu thun; so
will ich denn mein
Bißchen Leben lieber gar verschreiben als
verreisen. Mich dauert außer
dir nur mein Heinrich und Kreuznach, das aber
eben wegen seiner
2 Tagreisen, die zu meinen 4 Tagreisen stießen, mich
abhält (jetzo
nämlich). Übrigens leb’ ich hier, da ich Emanuel so selten sehe, fast ohne
einen — Mann. —
Meinem Heinrich bringe Seelengruß und Briefdank, zumal
für sein
so heiteres, launiges, witziges Hochzeitprogramm an die
Rothhammel.
Er sollte von solcher Schöpferkraft gedruckten und
artistischen Gebrauch
machen, sag’ ihm. „Säh ich ihn doch
selber als Cikade mit einem Roth
hammelchen davon laufen“ schrieb mir der ihn grüßende Emanuel.
Er verzeihe mein heutiges Schweigen, zumal da ich
ihm sein gedrucktes
vergebe. — Hegels
Phänomenologie hab’ ich mir selber gekauft; an
Scharfsinn ist er jetzo fast der Erste. Das Wahre such’
ich bei den jetzigen
Philosophen gar nicht. — Recht
erwünscht ist mir dein Kollegium der
Kirchengeschichte
bei dem braven gründlichen und trotz allem scheinbaren
Unglauben wahrhaft glaubenden Paulus. Kirchengeschichte ist das
stärkste Gegengift alles überchristlichen berauschenden
Giftes — nimm
eine rechte Porzion davon ein, deines überladenen Magens
wegen.
In Rücksicht der Duellsache hast du vergessen, daß du mir an einem
Abend an Eides statt versprochen, dich nie zu schlagen
und einen Trien
niums-Unsinn
zu verachten, zu welchem später Männer keine Belei
digung zwänge. Nothwehr mit Zunge und Hand gegen beide
〈Zunge
und Hand〉 sind allein und auf der Stelle
erlaubt. — „Es ist ja Ihr Blut,
sagte Emanuel zu mir, so wie Ihr Geld, wenn er es hergibt.“ Letztes
bezieht sich darauf, daß du mich um mein Geld beraubst —
und gar um
ein Kapital von 24 fl. — wenn du irgend
einem Tropf das Meinige gibst.
Unter Duell-Drohung könnte
man dich ja ausplündern. Ich verbiete dir
diese Eingriffe
in mein Eigenthum hiemit streng auf immer. — Deine
Rechnung ist höchst unvollständig. Wie kannst du, da ich dir am 27ten Dez.
100 fl. geschickt, doch
noch vom Jenner an bis Mai Mittagessen
schuldig
sein? Vollends steht dabei, „was du noch anderwärts schuldig,
habest du noch nachzutragen.“ Ich fodere von dir eine
bestimmte
Rechnung, was du von Geld übrig hast oder
was du schuldig bist. Sonst
müßt’ ich dich früher von dem
so theuern Heidelberg abrufen; wohin du
schon 210 fl. bekommen. — Ich habe mich in eine trübe
Laune hinein
geschrieben und
fahre lieber Morgen fort.
Hier ist doch ein Blättchen an meinen Heinrich, so wie eine Anweisung
auf 50 fl. — Alle meine Reiseplane oszillieren noch bis
sie endlich in
einer festen Mitte ausschwanken. München hält mir immer seinen
Regenmonat vor die Augen. — Wie gern säh’ ich
dich, mein lieber
Sohn, mitten in der schönsten Umgebung
von Freunden und Gegenden!
— Bleibe nur immer deinem Münchner Fluge und Streben getreu und
belohne deine Eltern durch dein Glück!
Vater
J. P. F. Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_175.html)