Von Jean Paul an Caroline Richter. Dresden, 16. Mai 1822 bis 20. Mai 1822.
Brieftext
Bis zur Überschrift bracht’ ichs gestern in Zeit eines Vormittags;
denn Ammon, ein Oberregimentquartiermeister Raben, Malsburg (der
hessische Gesandte und der Dichter) und andere ersetzten
einander; und
Nachmittags bis Abends war ich im „großen Garten“ mit
deiner
Schwester und vielen andern. Heute Mittags muß deine
Antwort auf
meinen ersten Brief anlangen, nach der ich unter allen
diesen Er
hitzungen schmachte
mit Durst, meine gute Karoline. Die Masse der
Erzählungen gehört nur auf unser Kanapée, nicht auf das enge Papier.
Nur Einmal konnt’ ich in einem Gasthof essen; bis auf den
Donnerstag
sind schon Eßbestellungen, ungeachtet
einiger abgelehnten. Bei der
v. Recke aß ich 3 mal
Mittags, und trank Thée 2 mal; denn die Hohen
lohe und die Acerenza sind auch angekommen und die Sagan
wird
erwartet.
— Seit einigen Tagen weht ein blauer Himmel, wie ihn nur meine
Phantasie verlangen kann; und er wird noch bis über
Pfingsten hinaus
sich freundlich gebehrden, bis er im
Anfange des Juny mich fürstlich mit
Kanonendonner und
Blitz-Illuminazionen entlassen und höflich lange
begleiten wird. — Von hier nach Baireut fodert man 60
sächs. rtl.
Fuhrlohn.
Gestern Nachmittags erhielt ich endlich deinen liebe- und freude
reichen Brief, der schon den 10ten abgegangen, wenn du nicht etwa
einen vorjährigen Kalender nahmst. Schreibe immer den
Wochen-Tag
darüber. Ganz gesund kann ich freilich
nicht bleiben bei dem ewigen
guten Trinken und Essen —
zumal an Tischen wie des Grafen Kalkreuts
und der Elisa
R[ecke]
Morgen ess’ ich bei dem Millionär Schütze, Gatte einer Engländerin und
Schutzgeist aller großen Hülfanstalten für Blinde,
Arme etc. etc., ein Leers
im Großen.
— und leider stärkt es den Appetit, daß ich
hier in 1 Tage mehr spreche als in Baireut in 14 Tagen. Dresden sagt
mir zum Glück voraus, daß ich in Berlin untergehen würde an Wirthen
und Genüssen. Zum Glücke kann ich die Thées meiden. —
Meine Briefe
zeige nicht immer ganz; lies nur daraus vor.
Leider trieb ichs früher
selber zu weit und ließ sogar
eine Amoene sogar deine Briefe lesen.
Könnt ich doch nur einmal recht lange an dich schreiben! Und doch
widme ich dir die Vormittage; denn an Arbeiten ist nicht
zu denken.
Du mattest dich mit den Hausverbesserungen ab,
während ich mich durch
Eß- und Sprechgelage. Aber halte
mich nicht für besonders glücklich —
In mein altes Herz
kann kein Frühling voriger Zeit mehr kommen; und
Wetter und Menschen und Umstände vereinigen sich umsonst. — Alles
ist hier gefällig bis zum Volk und Soldaten herab; du
findest das mili
tärische
Grobgeschütz baierscher Offiziere hier nicht. Indeß herrscht hier
in Freude, Kraft, Schönheit und Talent ein gewisses
Mittelmaß und
Mittelgut. Eine seltene Ruhe überzog so
viele 100 Menschen im „großen
Garten“, einem Lustorte wo ich leider auch die
Todtenbeschau auszu
halten hatte. —
Eine Dame, die früher schöner gewesen, trat ohne Gruß
an mich und sagte: ich solle sprechen, sie wolle blos meinen Ton hören.
Als ich toll genug antwortete und ihren Namen verlangte:
sagte sie,
sie sag’ ihn nicht, sie wolle wiederkommen und
mich zu ihrem Sohne
führen. Aber mein Ponto brachte sie
auf eine ¼ stündige Erzählung
ihres verlornen Pintscher
(Hundes). Sie kam wieder, führte mich zum
Sohne,
und zu zwei sehr schönen Mädchen — wieder nur Taufnamen
von allen — und wieder eine ¼ stündige Erzählung von ihrer Krank
heit — Zuletzt erzwang ich den Namen:
Frau von Bornstädt und
Fräulein von Lichtenstein — Und
so wars vor der Hand aus; die
Erzählung wird mir zu lang. Die Uthe’s und andere lachten sehr
darüber, über den Pintscher und die Frau.
— Erkundige dich vor der Hand (denn das Ende naht) recht nach
einem heitern Kutscher, der mich in 3 Tagen heimbringt.
Bei Krotz
darf es aber der nicht sein, der mich nach Turnau führte. Alles Weggeld
zahl’ ich, weil im andern Falle
der Mensch bei jeder parziellen Zahlung,
der ich
doch im Ganzen vorausgegeben, mir zu schenken und seinen Herrn
zu opfern glaubt. Aber sein Futter soll er zahlen. —
Sogar 40 fl. ohne
das Weggeld ist nicht zuviel. — Was hab’ ich der Magd
mitzubringen?
— Sei so gut und fülle mir von der Tramplerin Bier. Auch der Wein
wird aufzufüllen sein. Was soll ich Wohlfeiles der Emma über
reichen? —
Morgen fahr’ ich zum 2ten male mit Uthes auf das Land zu einer
herrlichen Familie Schwarz, die
ihren Wein- und Landsitz Friedstein
nennt. Er — ein reicher Vertrauter des russischen
Kaisers — baute
seinem vortrefflichen Vater ein Haus neben seinem — die
Gegend ist
göttlich — die Familie mit Frau und
Tochter und einer Wittwe der
Frieden selber — — Es kommt doch kein Frühling mehr in
das wunde
Herz eines alten Mannes.
Zu einem Begriffe von meinem Treiben und Getriebenwerden stehe
nur die nächste Zukunft hier: Mittags zu Schütz, dann nachmittag an
öffentl. Ort Finlether,
indeß eben die Reck auf abend zum Thée wegen
der gestern angekommenen Sagan
einlädt — morgen nach Friedstein —
übermorgen mit Ammon, Böttiger und andern ein Pickenik
— Don
nerstags bei der ausgezeichneten
gräflichen Familie Löwenstern —
Das Abgelehnte rechne ich nicht.
Mein Hauswirth mit Frau kommen mir in jedem Wunsche zuvor.
Man sprach von seinem lauten Zanken mit der Frau; aber
mein Dasein
macht den Jähzornigen zum Lamm. Besser
hab’ ich nie gewohnt. —
Deine Schwester wie der mir immer
lieber[e]
Uthe thun und thäten
was ich nur wünsche. In liberalen Gesinnungen ist sie dir
fast gleich;
aber du übertriffst sie an Ruhe,
Geschäftführung, und an äußerer Dar
stellung für die Welt und durch Freisein von einigen Eigenthümlichkeiten.
Minona sollte eine schönere Zukunft haben; ich
liebe sie wie eine Tochter
beinahe. — Koref, Geheimrath und Arzt aus Berlin, kennt und grüßt
dich. — Hier gibts keine guten Aerzte und einen Hahnemanns Schüler
haben sie hinaus gebissen. —
Meine Geliebte! Hier schneid ich den Brief ab vor der Abfahrt. Der
von Minna hat überall zu stark gemalt, Gutes und Böses.
Abends
erwartet mich gewiß deine Antwort auf meinen zweiten
Brief; und mit
ihr will ich den Tag schön und reich
beschließen. Gott gebe nur, daß
meine drei Geliebtesten
des Lebens unversehrt mir bleiben. Wie oft
ich dich denke und liebe, siehst du weil ich fast
nichts schreibe als an dich. —
Grüße Emanuel, Otto und meine theuere Welden.
Meine gute Emma habe Dank für ihren Brief.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_283.html)