Von Jean Paul an Ludwig (Pseud. Peter Leberecht, Gottlieb Färber) Tieck. Dresden, 12. Juni 1822.

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Brieftext

Dresden d. 12 Jun. 1822

Mein geliebter Tieck! In der äußerlich ausgeleerten, aber innerlich
überfüllten Stunde nach dem Einpacken will ich mir sanft thun, daß
ich an Sie meine letzten Worte richte. Denn ich will meine Rührung aus
sprechen über gestern, über das schöne poetische Allerseelenfest blos für
Eine Seele, welche aber durch den Abschiedabend zu stark und tief würde
bewegt worden sein; daher das zufällige, durch Wärme- und Reise
Ermattung und andere Kleinigkeiten erzwungne Ausbleiben beinahe
ein halbes Glück in diesem zu großen war. Und Ihnen, mein theuerer
Tiek, der auf jeder Terrasse-Stufe ein Opfer brachte, dank’ ich mit
eigner Rührung; und Ihren so liebenswürdigen Töchtern bleib’ ich mit
Sehnsucht einen Abschied, den ich gewöhnlich von schönen Lippen zu
nehmen pflege, schuldig und mit Ärgernis dazu, da ich mir ihn in Ihrem
Zimmer auf die Terrasse aufgehoben. Es waren der Gütigen gestern zu
viele; aber ich muß doch noch Ihrer wohlwollenden Gattin und der
Fr. Gräfin von Finkenstein und meinem lieben Kalkreut, Malsburg und
Löben meinen Dank zurücklassen, der mich selber aber auf der Reise
am meisten erfreuen wird. Die Terrasse mit ihren Tönen, Wellen, und
Höhen und Lichtern wird mir niemal untergehen. Lebt alle froh!

Jean Paul Fr. Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 8. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1955.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Staatsbibl. St. Petersburg. 1½ S. 4° (grünes Papier). K : DLA, Marbach (zusammen mit Konzepten für Nr. 301, 302, 306, 307); ehem. Katalog 559 Stargardt (Nov. 1962), Nr. 256, ehem. Laura Kallenberg, Schachen b. Lindau (s. Euphorion, 7. Bd., 1900, S. 312). B: IV. Abt., VIII, Nr. 179. A: IV. Abt., VIII, Nr. 195. 187,27 durch den Abschiedabend] aus die Abschiedabende H

J. P. war am 9. Juni (Sonntag) bei Tieck gewesen in Abwesenheitvon dessen Frau und Töchtern. In B spricht Tieck die Hoffnung aus,daß J. P. noch einmal zum Abschied zu ihm kommen werde, wenn er esauch nicht fest versprochen habe, auch um noch eine Abrede zu nehmenwegen des Projektes in Ansehung des Morgenblatts (vgl. I. Abt., XVI,Einl. S. LXIII). Tieck war dann am 11. Juni abends trotz seiner Gichtschmerzen auf die Brühlsche Terrasse gegangen, wo eine große Abschieds- feier für J. P. stattfinden sollte, aus der aber nichts wurde, da der zuFeiernde ausblieb. — Luise Förster schreibt im Brief an J. P. IV. Abt., VIII, Nr. 182:„Wie erfreut und dankbar war Tieck Ihnen für Ihren Brief.“

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_308.html)