Von Jean Paul an Heinrich Voß. Bayreuth, 6. August 1822.

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Brieftext

Baireut d. 6ten Aug. 1822

Mein geliebter Heinrich! Jetzo läßt mir wieder dein Schweigen über
das Schicksal des Kometen die Wahl unter trüben Vermuthungen; ob
deine Kränklichkeit sich nicht gehoben — ob nicht der kleinere Werth des
dritten Bandes dir die Mittheilung deines Urtheils erschwere — ob
nicht der Druck noch anstehe — ob du dem Rittmeister Leoprechting
etwas mitgegeben; denn abgegeben hat er nichts, ausgenommen in
voriger Woche seinen Körper an die Erde. Beruhige mich bald, Guter!
— Wol das mehrfache Lob deines lieben Vaters, aber nicht dessen Buch
selber gegen Perthes hab’ ich gelesen. Eigentlich geht die Buchhändler
gelegenheitpost am richtigsten und kürzesten den Umweg über Leipzig. —
In der Abendzeitung wirst du mich finden mit einigen Lobworten über
Dresden und Einem Schollen-〈Stein-〉wurf auf ein Neckarschaf in der
Neckarzeitung. — Tieck — wider welchenDoch sprach T. nur kurz mit Ja für und ich blos etwas länger gegen Schl., in Schonung verwandtschaftlicher Verhältnisse. ich des glattzüngigen, alle
shakesp. Alpen nur umschiffenden, nicht ersteigenden Schlegels Über
setzung verwarf gegen eure treudeutsche und deutschtreue, was Clodius
schon gezeigt — will eine neue Rezension Sh.s geben. Er glaubt an die
unwahrscheinlichste Möglichkeit, daß Sh. katholisch gewesen. — Von
des matten Gesellen (Pustkuchen) Wanderjahren hab’ ich nur den 1. B.
gelesen; und mag auch nichts weiter von diesem bissigen Überchristen,
der vor Jahren meine Charakterist[ik] auf Kosten der Goetheschen
moralischer fand, mich aber jetzo, weil ich auf seine Bitte um einen
Aufsatz über die Musik blos schwieg, nicht nennt. — Hofmann hatte
sich zuletzt aus dem poetischen Wahnsinn in einen wirklichen hinein
geschrieben. Sein Floh ist nicht wie der physische ein Miniatürelephant,
sondern ein Insekt, das gutes Blut absaugt. — Im herrlichen Scott
misfällt mir die willkürliche Breite der Gespräche und der Mangel an
Einheit des Interesse. Wie lange muß man sich z. B. im Piraten durch
die Leute durchirren, bis man den Helden endlich erwischt. — Wenn dir
der Buchhändler Max aus Breslau meinen Gruß überbringt: so bitt’
ihn, von mir einen mitzunehmen an einen gewissen Gymnasiast Pohl
in Breslau, dessen Gemüth und Poesie ich herzlich liebgewonnen, ohne
daß ich doch aus Zeitmangel ihm meine warme Anerkennung schrift
lich gezeigt. Der Himmel, der ihm so viel gegeben, geb’ ihm fort! —
Meine halbierte Gesundheit muß ich im Herbste — wegen des ent
schieden grimmigen Winters — durch Gehen und Bluten restaurieren
wie einen alten Torso. — Meine Odilie wächst und blüht schön in
Würzburg, meine Emma noch mehr hier und auch meine C[aroline]
ist sehr gesund. [Schluß fehlt]

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 8. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1955.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Landesbibl. Eutin. 3⅔ S. 8°; vom zweiten Blatt ist ein großes Stückherausgeschnitten, wahrscheinlich von H. Voß für Joseph Max. K 1: Voß in Heidelb. 7. Aug. K 2 (von Karolinens Hand): Berlin JP. J 1: BreslauerZeitung Nr. 1×. J 2: Voß S. 142×. J 3: Schneider Nr. 11×. B: IV. Abt., VIII, Nr. 184. A: IV. Abt., VIII, Nr. 194. 195,18 Vermuthungen] aus Veranlassungen H 22 etwas] davorgestr. nicht H 28 Einem] aus dem H 29 wider] aus gegen H 30 Alpen]Höhen K 1 196,2 unwahrscheinlichste] aus unwahrscheinliche H 7 hatte] aus schrieb H, schrieb K 1 8 einen] den K 1 9 nicht bis 10 absaugt] ungleich demphysischen, der ein Miniatürelephant, uns das gesunde Blut aussaugt K 1 13 Wenn bis 18 fort!] fehlt H (herausgeschnitten); Wenn bis 18 gezeigt. aus J 1 ergänzt, Der Himmel bis fort! aus K 1 19 Meine bis ich] Ich mußmeinen halbierten Körper K 1 21 Torso] Rock J 2

195,25 Perthes war bald darauf persönlich bei J. P., s. Persönl. Nr. 321. 31f. Clodius (s. 14, 1†) hatte die Vossische Shakespeare-Übersetzung imHermes, 1819, I, S. 87—141, ausführlich besprochen. 33 Verwandtschaft bestand zwischen Tieck und Schlegel nicht, doch stand TiecksSchwester Sophie (Bernhardi) zu A. W. Schlegel in intimer Beziehung. 196, 2–7 Pustkuchen: vgl. 164, 31ff.; Voß hatte geschrieben: „Der Verfasser der unächten Wanderjahre macht mir am wenigsten Freude, woer gegen Göthe Recht hat. Wahrlich alle Wahrheiten sind mit Schiefheiten untermengt, die in der Umgebung auf mich als Lüge wirken.“ 7–10 E. T. A. Hoffmann war am 24. Juli 1822 gestorben; kurz vorherwar noch sein Märchen „Meister Floh“ erschienen. 10–13 Scott: vgl. 164, 33ff.; Voß hatte geschrieben, er verstehe nicht recht, was J. P. mitder „in Brüche zerstückten Einheit des Interesse“ meine; vgl. auch denAnfang des 21. Kapitels des Kometen (I. Abt., XV, 413). 14 Buchhändler Max: s. Nr. 336†. 15 Pohl: s. Nr. 429†.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_324.html)