Von Jean Paul an Heinrich Voß. Bayreuth, 19. Juli 1820 bis 31. Juli 1820.

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Brieftext


Baireut d. 19. Jul. 1820

Ich will schon heute an dich schreiben, mein Theuerster, ob ich gleich
weiß, daß du erst nach Wochen dieses Blatt erhalten kannst.

d. 28 Jul.

Übermorgen soll das Mspt fort, dessen Abgang so lange meine Worte
an dich, du Lieber, verspätet hat. Übermorgen oder Morgen kann ich
noch vollends einen Brief von dir erhalten, damit nur meines endlichen
Schreibens kein Ende ist. Ach Gott! wie schöner wär’s, deine Hand
in meiner zu haben, anstatt durch die eine die andere ins Dintenfaß zu
bringen. —


d. 30ten Jul.

Morgen soll das Mspt fort. Über 6 Wochen war ich kein literarischer
Sechswöchner, sondern feierte in München. Diesem zweiten Bande
folgen noch die (im Morgenblatte abgedruckte) Vorrede über den
Traumgeberorden — welche ich der Zensur wegen nach Berlin ge
schickt — und einige Kapitel. Berichtige das Titelblatt, falls es dem des
1ten Bandes nicht gleichförmig wäre. — Bitte den Buchhändler um die
Bestimmung der möglichen Druckgröße dieser Sendung. — Jetzo setz’
ich seit deinem Loben wieder umgekehrt den ersten Theil über den zweiten
hinauf, weil dieser in seiner Geschichte mit Riesenschildkrötenfüßen in
seinem Sande langsam fortrückt und weil er nicht ganz verbergen kann,
daß er vor dem ersten geschaffen worden. So ist immer der Richterstuhl
eines Autors gegen sich selber ein Drehstuhl und seine Urtheile über
andere sind fester als die über sich. — Aber gegen das Ende des Bandes
thut sich für die heiterste, beweglichste und reichste Geschichte eine weite
Ebene auf; — und gerade da geh ich für einige Zeit mit meiner Feder
nach Hause. — Ums Himmels Willen mache du unermüdlicher Mit
arbeiter dir keine Bedenklichkeiten über Freiexemplare; ein schönstes
gebührt dir ohnehin von mir; und andere nimm; mir bleiben ihrer immer
genug. Den Hesperus bringt dir im Oktober mein Sohn mit. — Bei
dieser Gelegenheit thu’ ich an dich wichtige Fragen — weniger in
meinem Namen als für den Generalkommissar v. Welden und für den
Kammerrath Miedel, die beide ihre Söhne nach Heidelberg zu schicken
sich bedenken und doch wünschen — nämlich, wie groß die neulichen
akademischen Unruhen gewesen und welche da überhaupt auf Kosten der
Lebens Sicherheit zu befürchten sind. Schreibe mir es zur Beruhigung
meiner Kommittenten recht klar und bestimmt; volle Wahrheit über
diesen Punkt kann ich blos von meinem Heinrich erwarten. Auch
sage mir, ob bei euch öfter Prüfungen mit Studenten vorgenommen
werden. Mache, sei so gut, deine Antwortstelle zur Noth für Vorlesen
tauglich.


31. Jul.

— Wie verlang’ ich immer von dir! Wunderbar hast du in allen
deinen Korrekturen des Kometen Recht; fahre nur kühner fort, denn
was wärs denn sogar Gefährliches, wenn einmal deine Gedanken an die
Stelle der meinigen träten? Nur Einmal erriethest du nicht auf der 4ten
Seite des ersten Vorkapitels: „aber der Himmel (wünsch’ ich) verschone
künftig ein solches mitseufzendes Wesen mit dem Anblicke jener
trübern beseelten Spielpuppen der Männerfäuste“ — ich meine unter
Puppen geradezu die von der Lustseuche verstümmelten Huren. Zur
Deutlichkeit wollen wir unter den Druckfehlern und Verbesserungen
setzen: der Männerfäuste im Lustseuchenhaus 〈häusern〉, oder wenn dir
dieses zu stark klingt, in Lasterhäusern. — Ich sehe so oft immer ge
schrieben, was gar nicht dasteht, in meiner und in fremder Schrift;
kümmere dich also oft sogar um Korrekturen nicht zu viel. — Carové
erfreuete uns neulich; er heirathet die Braut nicht, weil sie nicht warm
genug für ihn ist, oder höchstens es zu sehr für andere. — Ich verreise
in diesem Jahre schwerlich wieder. — In München wollte Schlichtegroll
und Roth mich in die Akademie hineinbereden; aber meine Arbeiten,
der Charakter der Altmünchner und der bettelhaften Flachgegend
sperren mich heraus. — Der Herzog Alexander aus Rußland (Bruder
des H[erzogs] Wilhelm in Stuttgart) gibt mir in hiesiger Fantaisie
fast tägliche Stelldichein der Liebe; sogar eine Lobinschrift auf mich ließ
er in einen dortigen Felsen hauen, für mich eine aufrechte Grabplatte. —

Das Ende des 2ten Bandes und die fruchtbare Leichtigkeit fortzu
fahren und mich selber schreibend zu erquicken, läßt mich ordentlich
noch schwanken zwischen künftigen philosophischen Werken und zwischen
dreierlei Arten von ästhetischen, die ich zu machen wähle. — Verzeihe
das Schweigen, das jedoch immer den Fehler hat, daß man vor Über
fluß neuen Stoffs den verzögerten alten vergißt. — Alle Herzen um
dein Herz seien gegrüßt; und gedrückt an eine verwandte Brust. —
Auch meinen 3 Paulus, welche schon seit 3 Unglückblitzen (für jede
Brust ein besonderer) den Zuschauer ergreifen, aber noch mehr den
Freund erschüttern und gewinnen, sage meine dankbarsten, liebe
vollsten Grüße; und Gott segne meine Sophia! —

Antworte schleunigst deinem
Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 8. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1955.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Landesbibl. Eutin. 4 S. 4°; mehrere Stellen am Rande angestr. K 1 (Konzept, nach Nr. 65): Voß. Jul. K 2: Voß. 31 Jul. K 3 (von Karolinens Hand): Berlin JP. J 1: Voß S. 112×. J 2: Schneider Nr. 4×. 57,24 schon heute] aus nur H 34 war] aus hatt’ H 58,5 Jetzo bis 11 sich.]So ist der Mensch, wenigstens der Autor. Jetzo kehrt sich meine Furcht [aus Angst] um und ich habe über den 2ten Band die größere, schon blos weil er demgepriesenen 1ten unähnlich ist. K 1 7 Riesen] nachtr. H 8 fortrückt] aus schleicht H verbergen] aus verhehlen H 10 seine bis 11 sich] er urtheilt überandere fester und unverrückter als über sich K 2 28 tauglich] nachtr. H 29 31. Jul.] a. R. nachtr. H 59,4 sehe] aus schreibe H 21 den verzögerten alten vergißt] aus nicht den verschwiegnen alten gibt H 23 schon] aus wirklich H

58, 22 Über die akademischen Unruhen in Heidelberg s. 62, 31–34 undGustav Partheys Jugenderinnerungen (1871), 2. Teil, S. 374f. 33ff. S. I. Abt.,XV, 22, 12ff. 59, 6–8 Carové war mit Jean Pauls Patenkind PaulineSchwendler verlobt, s. IV. Abt. (Br. an J. P.), VII, Nr. 131. 11 Altmünchner: wohlfür Altbaiern, vgl. 49, 9. 14f. Die noch vorhandene Lobinschrift in derFantaisie lautete (wie Karoline Richter am 4. Aug. 1820 an Max meldete):„Jean Paul! Dem sinnigen und erhabenen Dichter, Deutschlands vorzüglichstem Musensohne, dem Freunde der Natur und Kunst, DeutschlandsZierde, Deutschlands Stolz!“ 23 3 Unglückblitze: Sophies unglücklicheHeirat, der Tod des Sohnes Wilhelm (28. Aug. 1819), Paulus’ Ausweisungaus Württemberg (Juli 1819).

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_80.html)