Von Jean Paul an Heinrich Voß. Bayreuth, 25. August 1820.

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Brieftext

Baireut d. 25ten Aug. 1820 [Freitag]

Mein geliebtester Heinrich! Wie wird dieser Komet ein Stern der
Liebe von mir gegen dich! Und wie führen alle seine Fehler und Exzen
trizitäten mich immer näher an deinen Herzmittelpunkt! — Ich kann dir
nicht sagen, wie ich mich immer innerlich bedanke und schäme und so gern
deiner Mühen etwas weniger machte!

Dein Brief vom 15ten, also vom Dienstage, kam erst vorgestern, also
den 23ten an; hingegen dein vorvoriger am Mittwoch abgegangner
schon Sonnabends; schreibe also immer Mittwochs. — Wunderbar
erräthst, ergänzest und verbesserst du mich. Kümmere dich nur nicht um
meine Hineinkorrektur; denn auch da schreib’ ich oft etwas anderes als
ich gewollt. — Deine Noten zum 1ten Bande kann ich ihrer Kürze
wegen nicht im Mspt finden; und ich verlasse mich auf dein Treffen und
höchstens auf das Druckfehler-Verzeichnis, da doch alles zu spät wäre.
Auch in deinen Bemerkungen über den 2ten Band bewunderte ich deinen
Restaurator-Geist. — Es wird doch kein Nachdrucker den 1ten Band
in Frankfurt erangeln? — Da der 2te zu stark wird, so send’ ich dir
nur noch Ein Blättchen nach, sammt der Vorrede über den Traum
geberorden 〈welche aber nicht vorreden-weit zu drucken ist〉, worüber
du mir noch nichts gesagt. —


Du allein veranlaßest durch dein Loben, daß ich mit frischer Freude
gestärkt, den dritten Band zur Michaelis Messe 1821 liefere, zumal da so
viel davon so gut wie geboren ist und da gerade darin Gebäude auf
treten, gegen welche die zwei ersten Bändchen nur Vorstadthäuserchen
aufführen. Ein Kain, oder ewiger Jude wird darin sprechen, der über
dem Leibgeber aber grausend steht. — Auch die Charaktere (sind sie klar
und recht?) müssen sich erst noch weiten und sich aus dem Schlafe aus
dehnen zum Handeln, besonders Süptitz, Libette und Renovanz. Bei dem
letzten schmerzet mich die Namen-Gleichheit mit dem Rudolstädter
Kunsthändler, da leider mein Renovanz späterhin unendlich kunst-hart,
kunstwarm und herzkalt erscheinen muß. Ich kann nichts dafür, gegen den
Zufall; — inzwischen darf ich mich doch [durch] dieses häßliche Namen
Durchschneiden meines Kometen durch eine fremde Bahn nicht an dem
Laufenlassen desselben hindern lassen. — Bei Gelegenheit! Du siehst,
wie ich schon im vertraulichsten Briefe mich verschreiben und verbessern
muß. — Mein Max wird diesen Monat an meiner Brust ankommen,
und zwar aus Salzburg, wohin ich ihm einen Ausflug erlaubt. Thiersch
geht nicht nach Italien, blos nach Gotha u.s.w. Über meinen auf dem
Musenberg sicher horstenden Max bin ich in Heidelberg gesichert
genug. Nur dieß schreibe mir noch: wie die sogenannten akademischen
Rénoncen (eine erbärmliche Bezeichnung bei Rock- und Wort-Deut
schen) zwischen Burschen- und Landsman[n]schaft innen stehen, und ob
sie eine eigne feste Klasse, oder nur eine schlechte Parias-Kaste bilden.
Max kommt nach einer kurzen Fußreise wahrscheinlich künftige Woche
hier an. — Miedel geht vor Angst nach Leipzig; Welden wegen
Familienbanden nach Würzburg, Max zu dir. — Für den Damen
kalender hab’ ich eine Darstellung meines Aufenthaltes in Löbichau ge
liefert. — Neulich blieb ein armer Student Kornfeld aus Pesth mehre
Wochen hier, um mich zu sehen und zu lesen, ein Studierender der
Medizin und der Poesie; die Hauptsache aber war, daß sein reicher
Gönner, ein junger Kaufmann in Pesth, ihm die Wahl gelassen, auf
seine Kosten mit ihm nach Italien zu gehen oder hieher. —

Jetzo zur Antwort auf deine trefflichen Fragen und Berichtigungen

  • Seit. 7. hast du das „ob“ und alles richtig gemacht.

  • S. 11. Der Maler heißt Hackert.

  • S. 17. Grunderde ist ein alchemischer Ausdruck.

  • S. 4. Weylands Abenteuer.

  • S. 19. allerdings sollte es heissen „verpfändete Marggrafschaft“.

  • S. 25 lies: „wenn ich die Ehescheidung von seiner Frau und alle seine
    Schulden bezahlt habe.“

  • S. 37 lies: „so daß wirklich für die Welt der Mensch ein Bissen (bolus)
    ist, den ein organischer Leib nur zweimal verspürt, erstlich wenn
    er eintritt in den Schlund, zweitens, wenn er austritt aus
    dem After, zwischen beiden aber ungefühlt durch den ganzen
    Unterleib durchrückt.“

  • S. 61. Lies: „Schon lange, lieber M. Grimold de la Regnière, wollt’ ich
    eine Hand drücken, die, obwol eine linkeAm besten sagt’ ichs wol in einer Note deutlich, daß er die rechte verloren., (Sie sollten die rechte
    noch haben) Essern trefflich vorschneidet, so wie vorschreibt.“

  • S. 77 „Fi! Ob ichs weiß oder nicht.“ Dein Sacre-dieu ginge zwar an
    sich an, und würde gerade ordentlich passen in den Zusammen
    hang; aber seine Flüche sollen eben immer in keinen und wider
    jeden passen.

  • S. 82 Allerdings wär’s besser, wenn es nach dir hieße: „ich werde im
    Fürstenmantel Ihn etc. ansingen.“

  • S. 88 „Zunge“ fand ich in meinen Exzerpten; aber doch ist Lunge
    wahrscheinlicher.

  • S. 98 Der zinnene Paradesarg wog 42 Zentner; du hattest also Recht.

  • S. 99. „Einleitung zur Ceremonial-Wissenschaft der großen Herrn etc. etc.
    von Julio Bernhard von Rohr. 1729. Seit. 825.

  • Nun grüße die Deinigen und Meinigen! — Habe Dank! — Lebe wol!


    Dein Richter

    Nachschrift. Noch etwas mir Wichtiges! Im 6ten Kapitel, wo die
    heitern Kirmeßgäste anlangen etc. etc., ließ ich doppelt-unrichtig den
    Apotheker im Zanke zu seinen 3 Schwestern sagen: ihr drei Höllen
    flüsse. — Weg damit! Setze dafür: du milder schwesterlicher Dreizack —
    Oder auch später: ihr lieben 3 Höllenrichterinnen oder ihr heiligen Drei
    Königinnen.

    Textgrundlage

    Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 8. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1955.

    Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

    H: Landesbibl. Eutin. 6 S. 8°. K 1: Voß 25 Aug. K 2 (von KarolinensHand): Berlin JP. J 1: Voß S. 112× (als Anfang von Nr. 91). J 2: Schneider Nr. 5×. A: IV. Abt., VIII, Nr. 67. 61,27 gegen dich] zu dir K 1 30 deiner Mühen] aus deine Mühe H 31 vorgestern] aus gestern H 32 vorvoriger] aus voriger H 33 Sonnabends] aus am Sonnabend H 62,3 ihrer Kürze] aus Kürze und desAbdrucks H 5 Druckfehler-] aus Erraten- H 12f. mit frischer Freude gestärkt] aus frische Freude gewinnend H 15 gegen welche] aus wogegen H 25 Laufenlassen desselben hindern lassen] aus Lauflassen meines Schwanzsterns H 31 wie] aus ob H 32 Rock-] aus Tracht- H 35 Fußreise] danach gestr. durch Salzburg H

    62,9 Ein Blättchen: s. I. Abt., XV, Einl. S. XXXVI. 20f. Renovanz: es gab in Rudolstadt einen Hofbuch- und -kunsthändler Heinr.Aug. Renovanz (1783—1843), worauf anscheinend Voß, dessen BruderAbraham dort lebte, J. P. aufmerksam gemacht hatte. Salzburg: vgl.Bd. VII, Nr. 577,302, 28 63, 2 Kornfeld: vgl. Nr. 149†. 8ff. Die betreffendenStellen finden sich I. Abt., XV, 145, 21, 147, 22, 149, 28, 144, 35, 150, 32, 153, 12f., 158, 13–17, 170, 7–10, 176, 32 (s. das Faksimile), 178, 27f., 181, 33, 182, 23, 186.35f., 204, 32f., 205,18 .

    How to cite

    Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_86.html)