Von Jean Paul an Caroline Richter. Frankfurt a. M., 6. Juni 1818 bis 8. Juni 1818.
Brieftext
Meine Koroline! Dein guter (gestriger) Brief hat viel vom
vorigen ausgelöscht. Wie konntest du aber am Sonntage von
Aschaffenburg einen Brief erwarten, da ich erst gegen 8
Uhr
Donnerstags da ankommen und er also erst Freitags
abgehen konnte?
Des Briefs wegen hab ich daher auch den
geheimen Rath Vogt
nicht besucht. Berechne nur immer die
Post-Möglichkeiten, ehe du
Unmöglichkeiten erwartest oder
fürchtest. — Lasse mich alles durch
einander schreiben, da ich zumal hier noch weniger freie
Zeit habe
als sonst in Heidelberg; denn die Besuche der großen Stadt, die
Besuche außer ihr nehmen immer halbe Tage weg. —
Jetzo fängt schon die Menschenmasse — so wie außen die Gluth —
drückend zu werden an. Gestern war ich mit Wangenheim in
Wilhelmsbad, 4 Stunden von hier, der
meklenburgische Gesandte
v. Plessen brachte mich zurück. Seine ältliche Frau so
wie die des
bremischen und meine herrliche Wirthin sind deiner
Freundschaft
werth. Mein Wirths Paar ist ein edles Menschen-Paar und
ich
freue mich am meisten auf den Morgen, wo ich beide auf
einige
Augenblicke ruhig sehe. Mir und ihnen
ists lieb, wenn ich sie einmal
mit einem Mittag- oder
Abendessen freihalte, d. h. eines zu mir
nehme; und schon
2 Tage hab’ ichs gethan und mich bei ihnen zu
Hause
gehalten; nur verderben sie dann wieder die schöne Einsamkeit,
daß sie immer neues Volk zum Essen bitten, wenn ich ihr
am Morgen
das Daspeisen zusage. Für die kleinste Sache um mich her
ist gesorgt.
Im
Heidelberger Gasthofe muß ich das Glück dieses
Familienlebens
vermissen. Bis jetzo hab ich nur Matronen gesprochen und
verehrt,
zwei alte Jungfern, die reichen Servière ausgenommen, wovon die
humoristische (Göthens frühere Liebschaft) mich heute auf
Morgen
zu Brentano und seiner
Frau (eine reichste Birkenstock aus Wien)
zum Essen eingeladen. Alles ist gestrige Bekanntschaft.
Die bishe
rigen Essereien und Thées erlasse mir ja, bitt ich dich. — Der köstliche
Wangenheim ist mein hiesiger Heinrich
Voß und hilft mir überall
zurecht. — Ohne den Bundes Tag mögt’ ich das Handels
Frankfurt
nicht gesehen haben. Desto ergiebiger an
vielgewandten Gesprä
chen ist das
Zusammensein und Zusammenreden mit so vielen Gebil
deten aus allen Reichs Ecken. — Unterwegs fehlte mir
nichts als
Mangel an Katzenjammer und an Durchfall und an
Nervenbeben;
aber hier ist alles hergestellt und mein
Hunger unendlich. — Den
himmlischen Himmel und
Erdboden genießt man aber doch nicht
recht, da ich keinen
Garten außerhalb der breiten Stadt besuchen
kann. Dumm
ists, daß der Mensch sich nach dem Widersprechenden
sehnt, nach dem Hauswesen, das ohne die Reise weniger glänzte,
und doch wieder nach dem Glanzwesen. Euch Geliebten
selber hab
ich doch wenigstens in der Seele bei
mir. Ich muß mir immer fort
vorhalten, Baireut behältst du lange genug; und Frankfurt, das
dich auf dem Wege daher so viel kostet, nur kurze Zeit.
Du solltest
mir also wol eine längere gönnen und mir
nicht die Verkürzung
anrathen. Ich komme ohnehin nie mehr
wieder hieher. Und doch
wünsch’ ich mich schon der
Arbeiten wegen ins stille Zimmerchen
zurück. Hier ist
wenig zu thun. So froh am Morgen, so verdrüßlich
in der
Nacht bin ich, weil ich vor 12 Uhr nicht ins Bett komme;
und mir grauset, wenn ich auf die lange Reihe von Thées
in Heidel
berg hinblicke. Einmal abends wenigstens muß ich in Heidelberg
trinken bei 1) Voß 2) Paulus 3) Daub 4) Thibaut
5) Schelver
6) Hegel 7) Panatoli
[!] 8) Dapping 9) Schwarz 10)
Fries
11) Kreuzer 12) Thielemann 13) Tiedeman 14) Munke 15)
Boiße
rée 16)
Heinse — Zweimal ist ohnehin unmöglich. Dann rechne, daß
ich ankommend 16 mal laufen muß aus Höflichkeit und
abgehend
auch 16 mal. Beim Henker, ich habe zu
viel zu thun und mögte
gern ein Bischen ruhen. So
lächerlich dir es klingen mag, mich
quält oft bei meiner
Rast-Sucht diese unerlaßliche Marsch-Pflicht.
— Morgen
bekomm ich gewiß wieder einen Brief von dir, der mir
wol
thun wird.
Wie oft dacht’ ich gestern abends auf dem Wasser unter dem
Nachthimmel an dich und wünschte, könnte doch meine
Karoline
diesen Vorabend ihres Festes mit genießen. Und
heute erwacht ich
traurig, daß du Gute immer allein, nur
mit den Kindern dein Leben
feierst. Aber glaube mir, ich brauche keine heiligen
Festtage des
Lebens, um an dich und deine Liebe zu denken.
Die Wäschkommode,
die sorgfältig zubereiteten und
eingewickelten Wäschstücke und sogar
die neuen Bändchen
an den Hemden zeigen mir jeden Morgen die
gute fromme
Hand, die alles so liebend geordnet und mitgegeben.
Mögen
die lieben Kinder und meine Freunde dir mich ersetzen und
deinen Tag verschönern.
Jetzo will ich dir die gestrige Überraschung malen. Wenners
fragten mich einige Tage vorher, ob es abends schön
bliebe, damit
man ein wenig auf dem Wasser führe. Wir
gingen um 6½ Uhr
in ein großes Haus eines Verwandten, wo wir eine Menge
junge
Leute abholten, ein langer Zug von Anverwandten,
Frauen, Jung
frauen,
Kaufmanndienern, zwei Aerzten etc. etc. Über eine Stunde lang
gingen wir durch herrliche Saaten — die Glanz-Stadt und
den
Main immer unten zur Linken — nach einem Dorfe
Großrad, um
einzusteigen und vom hinabgehenden Main uns heimführen
zu
lassen. Gegen 9 Uhr ruderte sich endlich unser
Schiff (eigentlich war
noch eines angemacht und
ein Nachen dazu) am dunkeln Ufer herauf.
Es war mit
Epheuzweigen überlaubt — hängende Laternen — auf
dem
einen Nachen Proviant — auf dem andern Schiffe Musik
anstalten. Ich mußte mich mitten unter die Frauen setzen
und erst
dann errieth ich die nähere Beziehung auf mich.
Mit Einem Worte:
das Heidelberg wiederholte sich.
Ein herrlicher Tenorist sang wie
ein Arion auf der Schiffspitze — meine Hausfrau im
andern Schiffe
— Violinen — Guitarren — Wein — Essen — die Mondsichel
neben
dem Abendstern — der Rheinbreite Main von der
späten Abendröthe
nachschillernd — Im Schiffe Pechfackeln, welche die
Überlaubung
zu einer Zauberwohnung erleuchteten
— Allgemeiner Gesang —
Nach 11 Uhr umkreisete uns ein
neues Schiff mit Lichtern, Flöten
und Weibern und
Jünglingen, das uns nachgezogen war und zum
Plane des
Festes gehörte — Ich konnte über den Mittelnachen
〈Nebennachen〉 doch die Hände hinüberreichen zum DrückenKomisch genug und doch in der Freude verzeihlich bat man mich, mehr das Gesicht herauszuhalten, damit das neue Weiberschiff mein
mitschiffendes Gesicht sähe als eine neue Insel.
—
Und so glitt es, mehr schwebend und ruhend, auf den
Wellen der
Stadt zu. Da sah ich oft zu den Sternen
hinauf und dankte Gott.
Die Musiker und Menschen unseres Schiffs begleiteten uns bis
in den Hof des Wennerschen Hauses und ich bekam,
nachdem ich
schon Abschied genommen, wieder ein gesungnes und
gespieltes
Ständchen und mußte wieder hinunter, um neu
zu danken und neu
zu scheiden. Von einem Mädchen,
das ich nicht kenne, bekam ich
einen so herzlichen Kuß
nach dem meinigen als sei es meine Tochter.
Nach 12½ Uhr
war die schöne Geisternacht vorüber. — Verzeih die
wilde
Schilderung, die eigentlich doch nur das halbe sagt. Nun wirst
du begreifen, warum ich an deinen heutigen Tag dachte;
und beinahe
hätt’ ich etwas davon gesagt, wäre die
Feiergesellschaft nicht zu
groß gewesen. —
Die Weiber sind hier mehr ausgebildet, als in Mainz. Meine
neulichen Berichte der weiblichen Häßlichkeit beziehen
sich nur auf
die untern, nicht auf die mittlern
Klassen.
Der geistig und leiblich-fein gebildete und schön geformte Wenner
— der keinen Zug von einem Buchhändler hat, auch keiner
mehr ist,
aber sehr reich; denn sein Haus besteht aus 2
aneinander gereiheten
Häusern — hatte mich zum ganzen mir
zubereiteten Festabend nur
so nebenher eingeladen.
Ich schmachte sehr nach einem Blatte von dir und habe dich den
ganzen Morgen im Sinne, zumal da mir in der Nacht
geträumt, ich
sähe dich krank im Bette, was Gott verhüte.
— Setze auf deine
Briefe: Frankfurt am
Main. — Auch frankiere sie hieher, bis ich in
Heidelberg bin, damit ich Wenner
nicht etwa von dort aus zu be
zahlen brauche. Diese Woche bleib ich
freilich noch hier, da ich
zum Essen mit dem hiesigen
Gelehrtenverein geladen bin, — und
noch etwas darüber, da ich manche Besuche schuldig bin.
Schreibe
ja bald, liebes Herz. Schreib’ ich doch sogar
Vormittags vor dem
Arbeiten, weil mir die Nachmittage
selten sicher bleiben. — Da ich
fast nichts zu bezahlen
brauche als Bier und Wein: so leb ich fast
wolfeiler als
in Baireut. — Sei so gut und tausche mein Rouleaux-
Grün in Weiß um. — Gestern war ich mit den Brentanos und
Servière’s auf ihrem Landhaus. Der Frankfurter Reichthum
und
Zierde bewohnen diese Landhäuser. Die Spaziergänge um die
Stadt
sind schöner als die irgend einer andern; in der
Ferne Bergreihen,
in der Nähe den Main, gerade neben dir
lange Gänge blos von
Akazien, dann wieder blos von Rosen, dann blos
von Jasmin;
und hinter dir die Prachtstadt, welche dir
überall nur Palläste
zukehrt. Ganz glücklich wär’ ich,
wenn mich mein dummes Sehnen
nicht immer befiele und wenn
ich euch hier hätte.
— Ich will jetzo schließen, sollte auch nach einer Stunde dein
Brief ankommen. Grüße die Ottos, die Emanuels, meinen Bruder
und meine innigst geliebten guten Kleinen. Und es gehe
dir wol,
geliebteste Seele!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VII_418.html)