Von Jean Paul an Caroline Richter. Löbichau, 4. September 1819 bis 6. September 1819.
Brieftext
Du siehst, meine geliebte Karoline, wie ich das feinste Papier nicht
schone noch mein Bischen Zeit, um nur seit Gestern wieder
heute an
dich zu schreiben Die
Briefe an dich sind eigentlich meine Miedels-Vormittagarbeiten.
. Gestern Abends bei Tische trank die herz- und
liebereichste unter den Töchtern, die Herzogin von Acerenza
(Jo
hanna) mit der Mutter
und mir und der Ende deine Gesundheit.
Dorothea (so will ich immer die Mutter der Kürze wegen
nennen)
hat mir versprochen, in Baireut eine Nacht zu verweilen und dich zu
besuchen. Jetzo zieh’ ich sie ihrer Güte und Seelenfülle
wegen allen
hier vor. Gestern abends vor dem Thée (um 9 Uhr) wurde blinde
Kuh gespielt, von jungen Mädchen und Gräfinnen und dabei
sitzenden Herzoginnen an bis zu ernsten Leuten hinauf wie Graf
Schulenburg und der steife lange Schink. Ich schlug
gleich, da ich
den Schnupftuch-Orden bekam, das neue Gesetz an, daß
jeder Herr
die Dame, die er fange, küssen müsse, ein
Gesetz, das niemand hielt als
ich allein. Ich fing viel.
Endlich erfaßte ich auch die Herzogin Mutter
selber. Als
das Tuch herab war, macht’ ich natürlich nichts weiter
als
eine der ehrerbietigsten Verbeugungen, erhielt aber dafür zum
Lohne von ihr einen Kuß auf die Stirne. Ich wollte, allen
Männern
in der Welt würde nie etwas schlimmeres
auf die Stirn gesetzt. Als
sie später wieder an das
erinnerte, was sie gegeben: versetzte ich
sehr artig: dieß
sei ein Diamant, einem armen Haushalten geschenkt,
gewesen, das nicht wisse was es damit anfangen solle. — Firks ist
nicht Reise-, sondern Kreismarschall eines kurländischen
Kreises
und Mitglied der Organisazionkommission zur
Aufhebung der
Leibeigenschaft; ein kräftiger,
freundlicher, ausgebildeter Charakter
von 36 Jahren. —
Nie bekam mir ein Saal- und Gastleben besser;
jedoch bin
ich in allen Genüssen ein Mäßigkeit-Muster; so scheid
ich
oft mitten in der Lust, z. B. gestern abends, 1½ Stunde früher
ab. — Aus den Männern hier hab’ ich noch wenig
geschöpft.
Marheinecke, der ein halber Weiberregent hier ist und
welcher
der Chassepot und der
Hohenzoll. Fürstin am stärksten, dann der
Reck, Piatoli und Dorothea
ungemein gefällt und imponiert, mir
aber sehr wenig wegen seiner unschicklichen
Sprach-Wendungen und
seiner wahren innern
Oberflächlichkeit, hat eine Gegenpartei, wozu
die Ende, die Herzogin von Sagan und noch einige gehören.
Er
hat vorgestern der Ende nicht
nur kränkende, sondern auch krank
machende Beleidigungen gesagt; und schon seit mehr als 30 Stunden
wüthet der Krieg mit allen seinen Übeln fort; und noch
ist nicht ab
zusehen — in
keinem Kabinette —, wie er endigen werde. Der guten
Dorothea bleibt er noch verschwiegenist nach den neuesten Nachrichten des Vormittags nicht mehr zu
verbürgen.. Die eigentlichen Kriegs
berichte erwarte aber erst an
unserer Abend-Tafel, wenn ich von
Rehreni zurück bin. Der ganze offne Krieg in den Kammern
hindert
indeß nicht im Geringsten den Frieden in den Sälen und
Lust und
Liebe herrschen allgemein. — Auf jedes
Früh- und Nachtstück freu’
ich mich, weil jedes anders
ist und keine Nacht-Unterhaltung der
andern ähnlich. — —
Jeden Mittag und noch gewisser jeden Abend
ist das
Töchterdrei hier. — Johanna (die italienische) hat mir heute
eine Rose gebracht und angesteckt. —
Heute hast du gewiß meinen Brief erhalten. Endlich muß ich,
ohne deinen zu erwarten, die Abreise feststellen. Der Mensch braucht
nicht blos Lustgetümmel, sondern Herbstruhe, Arbeit und
die lieben
Seinigen. Thümmel wollte mich nach Altenburg haben und mir
seine Pferde bis Reichenbach leihen; aber nach der hiesigen Gesell
schaft schmeckt mir keine neue,
sondern nur ihr. Miethe also meinen
vorigen Höfer Kutscher von Strobel (oder ist der nicht zu
haben,
den Eisenhutischen mit seinen
guten Pferden) so, daß ich nicht für
Razion und Porzion zu sorgen habe, und daß er etwa den
10ten
(Freitags) abfährt. Könnt’ er nicht, so käm’ es
auf Einen Tag
nicht an, nur aber nicht später. Löbigau liegt 1 Stunde von Ronne
burg. Sag’ ihm, daß ich in
dem nahen Gera (weil ich erst Nach
mittags abfahre) übernachte. Und doch
wär’ es möglich, daß ich
am Morgen abführe nach Altenburg und da 1 Nacht bei Th[ümmel]
bliebe. Sage dem Kutscher die verschiednen
Möglichkeiten, damit
er seine Preise berechnet. Erwarte
also nicht ganz strenge mich an
dem ersten möglichen
Termin, sondern am zweiten. — Das prophe
zeiete schöne Herbstwetter ist eingetreten. Die Liebe
aller gegen
mich dauert fort. Gestern war ich in Tannefeld bei den 3 Schwestern.
Die Fürstin von Hohenzollern kommt mit nach Baireut. Welch’
ein Sonntag! Um 3¼ Uhr wurde ohne Frühstück Einmal für
den
ganzen Tag gespeiset. Keine Konzerte haben mir
noch solche volle
Entzückungen gegeben als die köstlichen
Bruststimmen der beiden
Fürstinnen und noch einige
Mädchenstimmen; sogar ein lustiges Stu
dentenlied wurde vom Chore
gesungen; — der alte Feuerbach sang
als ein Schneider mit trefflichster Deklamazion seine
Geschichte und
Liebe seiner Schneiders Geliebten vor der
Frau von d. Reck. Mit
dieser muß ich oft eine Stunde Nachmittags spazieren.
Nie dacht’ ich,
daß ich diese alte ehrwürdige Frau — die
vielleicht einst so schön wie
die Herzogin war —
so lieben und ehren würde, was du aber nach
thun wirst, wenn du ihre Reise
liesest, die sie mir schenkt. — Darauf
wurden drei Polonäsen mit Geschmack getanzt. Meine erste
tanzt’
ich mit der Frau v. d. Reck — die zweite mit
der Herzogin — und
die dritte mit der theuern Herzogin von Sagan (die
leider in dieser
Woche nach Schlesien abreiset). Die Polonäsen
hatten ihre schwie
rigen Touren, man muß zuweilen eine
Dame nach der andern fassen;
ja unter aufgerichteten
Armen-Pforten durchziehen und selber wieder
solche Pforten
machen. Ich gestehe dir gern, daß ich mit einigem
Vergnügen in mir den versteckten Tänzer ertappte. — An keinem
Hofe kann ein so
ungezwung[en]er, froher und doch
anständiger Ton
herrschen als hier; nicht einmal in Stetten war es so schön. Meine
Furcht vor übermäßiger Weiblichkeit war ganz
unnütz. Doch hab’
ich mir auch kein Übermaß in Trinken und
Sprech-Begeisterung
vorzurücken. Der Allgütige gebe
nur, daß keine Wolke über euch
Geliebten aufgestiegen! Wie
viel freudiger als das vorige mal werd’
ich dir an das
treue Herz fallen! Gestern sprach ich in Tannefeld
lange von der Berlepsch
und Feuchtersleben und von dir zum
Vergleichen. — Bomhards Tochter
ist auch oft bei den abendlichen
Festen und ihre Eltern können sich über ihr Glück
erfreuen. — So
lebe denn wol, mein Herz. Euch Kinderlein grüß und küß
ich herzlich.
Otto und Emanuel grüße
sehr.
Hätt’ ich doch bald von dir etwas!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VII_571.html)