Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Bayreuth, 15. August 1812.
Brieftext
Eiligst, weil mein Freund Emanuel das Blättchen
morgen mit sich reisen läßt
Schlichtegroll schrieb mir nichts; und ich glaubte dich noch immer
dem Abendrothscheine der Gletscher gegenüber.
Emanuel in Hesperus hat keine
Beziehung auf den wirklichen,
der dieses Briefchen bringt und den ich später kennen lernte. Warum
trauet man mir denn die
Indelikatesse oder Indiskrezion zu, daß ich
einen
wirklichen Freund zu einem dichterischen Baugerüste und noch
dazu mit seinem Namen, verbrauchen und auszimmern würde? Eher
mit mir selber könnt’ ich sündlich umgehen und von mir Schlimmstes
und Bestes wörtlich entlehnen für Dichtkunst; aber nie mit
einem
Freunde. Der wirkliche Emanuel ist mir lieber, kompakter, viel
seitiger, kräftiger, als der im Hesperus. — Von meinem zweiten,
aber frühern Freunde Otto (der
gelehrten Welt unter dem Namen
Georgius bekannt) hab’ ich dir viel und warm erzählt.
Ich hätte von dir, seit unserer Sichtbarkeit, einen längern und
bestimmtern Brief erwartet; und ich fürchte, durch meine Sicht
barkeit bin ich dir noch unsichtbarer
geworden als es schon durch
meine komischen Werke
geschehen.
Ich wollte, du liehest mir durch Emanuel — welcher deiner
Seele
in der ersten Viertelstunde wolthun wird — das 12te Heft des
rheinischen
Archivs.
Die Vorschule (wie die Levana)
erscheint 1813; ich muß in
jener manches Lob (z. B. Schellings) anglisieren oder abschneidend
verkürzen. Die Artikel über Romantik und das Lächerliche
sind sehr
erweitert, aber nicht verkürzt, nur tiefer
erwiesen.
Von Reinhold konnt’ ich von jeher keinen Stoff
gewinnen,
höchstens Form. Ein Stückchen seines Herzens ist mir
lieber als
sein ganzes Gehirn. Nur polemisch erfreuet und
belehrt er mich in
der Philosophie wahrhaft.
Du siehst, ich gehe deinem Briefe zeilenweise nach.
Leider wurde eine der wichtigsten Äußerungen von dir gegen mich
— über Persönlichkeit und Erinnerung hinter dem Tode — durch
die
Eßglocke unterbrochen und todtgeläutet. —
Mein Innerstes und Bestes hat jetzt nur Hoffnung und Sehnsucht
des Lichts, aber keines; und ich bin an[n]o 1812 darüber noch
trauriger geworden.Indeß kann man,
sobald man das Licht nur recht will, ja warten; die Völker müssen
auf dasselbe Jahrtausende warten, das Individuum aber nur bis an
seinen Tod.
Es gehe dir wol! Grüße deine mir recht lieben Schwestern!
N. S. Meine unbedeutenden Anmerkungen zu deinem Hume
will ich nächstens in reingeschriebene Worte fassen. Gib
doch jedem
deiner philosophischen Werke einen Anhang als
Fruchtlese (ohne
systematischen Bindfaden) aus
deinen trefflichen Bruchstücken, wovon
du mir einige im
Wirthshaus in Erlangen lesen lassen.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_666.html)