Von Jean Paul an Marianne Lux. Bayreuth, 20. Juni 1813.
Brieftext
Liebe Marianne! Der Überfluß dessen, was ich Ihnen zu sagen
hätte — wovon manches noch dazu nur von Mund zu Ohr gehen
darf — und mein Mangel an Zeit zwang mich zum Verschieben
meiner Antwort auf Ihre letzten Briefe. Der erste, den Sie nach
meiner Antwort schrieben, erschütterte mich mehr als irgend
ein
Unglück seit Jahren; denn es kam ja auf einen
bloßen Zufall an,
so hatten Sie auf meine ganze Zukunft einen
fürchterlichen Todes
Schatten geworfen. — Sie sollten meine
drei Koffer voll Briefe
sehen, von denen ich — oft bei den
besten — aus Mangel an Zeit
nicht ein ⅙ beantwortet habe.
Sogar zwischen meinen Freunden
und mir — z. B.
Geheimrath Jacobi, Verfasser des Woldemars —
dauert der Aufschub des Antwortens gewöhnlich Monate
lang.
Denn nehmen Sie an, der eine antwortete auf der
Stelle, der
andere wieder auf der Stelle, jener wieder, so
bliebe keine Zeit
nur zum Schreiben eines halben Bändchens
übrig. Auf Ihre
4 ersten Briefe, die mich wahrhaft
begeisterten und in welchen ich
nur eine seltene hohe Liebe
und Feuerseele und keine einzige Ihrer
oder Eines andern
unwürdige Zeile fand, antwortete ich mit mehr
Feuer und
Freude als ich sonst dabei zeige. Sie foderten die Ant
wort nur zu eilig, zu pünktlich: konnt’ ich denn nicht
verreiset sein
oder krank oder todt oder abwesend,
oder in Geschäften? Ihren
Schritt, den Sie deßhalb thun
wollten, muß ich bei aller Größe des
Geistes, die er verräth,
strenge verdammen. Aber nie sei mehr von
ihm zwischen uns die
Rede! — Übrigens wünschte ich, Sie zeigten
um
[?] Ihrer und meiner wegen, meine 2
Briefe Ihrer guten
Mutter, deren nun verschmerzte
Wunde ich mir gar nicht malen
will. Sie denken viel zu gut von mir als Menschen, kein
Schrift
steller kann so moralisch sein
wie seine Werke, so wie kein Prediger
so fromm wie seine
Predigten. Schreiben Sie mir künftig recht
oft und von allem
was Ihrem Herzen nahe tritt in Freude oder
Leid; Sie
sind mir jetzo durch ein einziges wunderbares Band fester
an
die Brust geknüpft als irgend eine ferne Bekanntschaft. Nur
ziehen Sie aus langem Schweigen keinen Fehlschluß. Erschüttern
und entzücken wird mich einmal unsere erste Zusammenkunft; denn
gewiß sehe ich den königlichen Rhein einmal und dann Mainz und
darin Sie zuerst und zuletzt. — Lebe nun froher,
gequälte Tochter!
Mögen diese, absichtlich nur schlicht und
ruhig geschriebnen Worte
dein Herz erfreuen, und nicht
verwirren und verwunden!
Vater
Jean Paul Fr. Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_767.html)