Von Jean Paul an Marianne Lux. Bayreuth, 20. Juli 1813.
Brieftext
Liebe Marianne! Die Locke, die meine Frau meinem Glatzkopfe
abgeschnitten für Sie, ist die beste Widerlegung Ihres
letzten Briefes
oder Fürchtens. Besorgen Sie doch nie mehr —
ich bitte Sie darum,
meiner Ruhe wegen — daß ich irgend einen
Ihrer Briefe, er sei
geschrieben wie er wolle, auf Ihre
Kosten misverstehe. Ihr letzter
an mich hat an vielen Stellen
mich innigst gerührtZ. B. Ihr Singen an einem gewissen
Abende und das Weinen der Schwester.
35
und in andern,
wo Sie über mich scherzen, mich
erheitert. Ich kenne ja Ihr ganzes
warmes reines
idealisierendes Herz und dessen große Kraft; wie
sollte mich
daran irgend eine Zeile des Augenblicks irre machen
können?
Was ich freilich tadle, wenigstens beklage, ist, daß Ihr
Sonnenfeuer Ihnen süße Früchte zwar reift, aber dann auch aus
trocknet. — Ihr Schwur, mich nie zu
sehen, gilt nicht — — (Jetzo
kommen weise Lehren, die Sie
sich verbaten) denn erstlich kann
man nur andern, nicht sich
beschwören; und zweitens sich (und
andern) nur das Gute oder
das Unterlassen des Bösen (denn diesen
Schwur bringen wir
schon mit auf die Welt und kein neuer ver
stärkt ihn). Eine andere Sache aber zu beschwören, die nicht
im
Gebiete der Sittlichkeit liegt, z. B. ewig eine Stadt,
einen Menschen
zu vermeiden, ist ungerecht und dem Schicksal
vorgreifend. — Und
endlich geht wenigstens mich Ihr Schwur nichts an, und ich werde
Sie sehen,
wann ich kann; dann mag Ihnen schnell der Schwur
die Augen mit
einem Fächer bedecken, wenn ich Ihnen ihn lasse.Ich male
mir die Stunde schön, wo Sie zuerst meine Caroline und
meine
Kinder sehen, und dann mich; so würd’ ich auch alle
Ihrigen sehen.
Liebe gute Seele! Sie sind die erste Unsichtbare, der ich so offen
herzige Briefe, und vollends die Locke
gebe; könnt’ ich es thun, wenn
ich nicht so viel Liebe und
Vertrauen für Sie hätte? Sie, die viel
mehr für mich
opfern wollten als ich verdiene oder vergelten kann?
Werden Sie nun künftig nicht durch mein von Geschäften und
Lagen abgenöthigtes Schweigen auf Ihre Briefe irre!
Bricht der Krieg wieder aus, und folglich über mein Vaterland
herein: so flücht’ ich auf einige Zeit nach Heidelberg.
Lebe froher, liebe Tochter! Quäle dich nicht, sonst quälst du mich
und deine Schmerzen verdoppeln sich zu meinen!
Vater
Jean Paul Fr. Richter
Ich habe viele Ursachen zum Wunsche, daß du den Deinigen
alles sagtest; und finde bei der vertrauenden Liebe, die
sie für dich
haben, keinen Grund zum Gegentheil.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_778.html)