Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Bayreuth, 15. April 1805 bis 4. Mai 1805.
Brieftext
Lieber Heinrich! So sehr viel frag’ ich eben nicht darnach, daß
mir Perthes meine Hoffnung, dich
hier zu sehen, todtgemacht; denn
sie war mehr ein Fötus als ein ausgewachsenes Kind
meines Wunsches
nach dir. Ich kann mir bei deiner von Seelen
und Nerven unterwegs
bestürmten Reitzbarkeit leicht denken,
daß du — da du durch deine
Jugend zurück reisest und überall
wie ein Wanderer nach Rom,
Denkmählern begegnest und neuen Freunden zu alten — in München
Gott danken wirst, seßhaft zu sein und Einen Menschen weniger
ge
sehen zu haben, „der ohnehin — sagst
du in deinem Ruhezimmer —
noch diesen Sommer sich aufmacht
und mich besucht, wo ein ganz
anderes, leichteres Leben sein
soll, als auf der mörderischen Reise,
die der Teufel hole.“
Ich unterschreibe, deinen Fluch ausgenommen,
alles, was
du da eben sagtest. Ja, mein Heinrich, ich werde, ich muß
nach München reisen, um meinen Herder wie auferstanden wieder
zu finden und einen Spinoza dazu.
Und doch gäb’ ich jeden unserer künftigen Abende — den ersten
und letzten ausgenommen — für jenen hin, wo ich dich mit Fichte
zusammen sehen könnte, euch redliche scharfe
Schatzgräber der
Wahrheit, die sich halb im Himmel, halb in
der Erde verbirgt. —
Eine alte Freundin von mir — Frau v. Kalb aus Weimar, jetzt
in Berlin — bittet mich um deine
Sichtbarkeit, wenn Berlin den
Merkurs Durchgang durch dich nimmt. Sie war eine
innige
Freundin Herders,
Goethe’s, Schillers etc.; ihr Aeußeres verschließt
mit rauher Eichenrinde einen zarten Blütengeist. Sie hat
mehr auf
meine Bildung eingegriffen als alle übrigen Weiber
zusammen.
Ihren Karakter schildert man zum Theil mit dem
Worte, daß sie
mit unendlicher Tiefe jeden Karakter eben
schildern kann.
Gestern war Fichte bei mir und bei uns. Er will gern alles thun und
machen — z. B. den halben Weg —, um dir irgendwo anders
als
auf dem dünnen Papier zu begegnen. Er hofft wirklich,
dich münd
lich in seine Meinung herüber
zu ziehen; was ich aber nicht fürchte.
Er will dir
klar machen — da ihn bisher niemand verstanden,
nicht einmal du — wie Spinoza u. a. stets mit einer
Disjunkzion
anfingen, folglich nie den Übergang erphilosophieren
konnten —
wie der Philosoph das Unbegreifliche begreifen
〈Unbegränzte be
gränzen〉 müsse, obwol als ein solches, aus dem aber das begreif
liche 〈Begränzte〉 a,
b, c sich ableite — Immer ist ihm Wissen =
Ich. Er
achtet und lieset wenig, du müßtest denn einen Anhang dazu
geschrieben haben. Er sehnt sich sehr nach dir, du wirst ihn ver
stehen, nur er dich nicht. Niemand hat
sich tiefer und schärfer in
Einseitigkeit hinein gehölt und
gegraben als er. Wo ich gegen seine
Feinde spreche — oder da, wo ich seine Ideen in meine freundlich
kleide und fasse: hat niemand mehr Recht als ich; — sonst
nie. Auf
seine Behauptung, er werde nicht verstanden, bauete
er die, man solle
also nicht gegen ihn schreiben; und ich
konnte ihm nicht beibringen,
daß jeder Systematiker, der
einen Radikal-Angriff erlebe, dasselbe
Nicht-Verstehen,
sobald er unüberzeugt bleibe, eben so voraus setzen
und
anbauen dürfe u. s. w.Ja es sei, daß ihn nie jemand verstanden; folgt denn daraus, daß er
immer etwas anderes dachte als man an ihm widerlegte, daß
dieses andere ein Wahres sei?
Ein wenig an Achtung für seine mora
lische Seite hat er dieß mal bei mir eingebüßt; nämlich vor einer
großen Gesellschaft sagte er mir, nur das Blatt von Monsieur im
Clavis hab’ er gelesen — dann zwang ich ihn durch
Vorrückung
seines öffentlichen Urtheils darüber (aber erst nach seinem
langen
Fortbehaupten der ersten Lüge) zum Bekenntniß das
ja eben auch ge
druckt ist, daß
er darin den Einwand aus der Sprache hergenommen
gelesen —
und zuletzt hatt’ er nach kahlen Ausbeugungen eben alles
durch gelaufen, nur sich nicht gleich besonnen. Hier wurd’ ich etwas
fast ungesellig-hart und aufgebracht. Doch zuletzt gaben wir
einander
wieder die Schreib-Hand.
Er hat ein wenig zu sehr bloße Zuhörer
gewohnt. Du wirst alle deine philosophische
Allseitigkeit anwenden
müssen, um — nicht dich in seine
Stelle, sondern — ihn in deine zu
versetzen. — Nicht bloß
aber sittlich, sondern auch logisch wider
sprach er sich diese wenigen Stunden mehrmals aus Rechthaberei
oder Verdunklung durch seine (schöne) Tiefe. Wer sich bis
zum
Mittelpunkt der Welt hinunter gegraben, kann
sich freilich nicht
viel Platz und Oeffnung dazu
machen.Er klagt, daß jetzt niemand lese; dieses
beweiset er so gut man es selber kann; indem er selber nichts
lieset.
Könntest denn du nicht den bequemen Weg von Weimar
über
Gotha, Meiningen, Coburg — — — — Bamberg, Erlangen
nehmen? Und mir dann im zweiten Briefe deine Begegnungs
Geschichte schreiben?
Denn den ersten hoff’ ich jetzt auf diesen endlich einmal von dir
zu haben, lieber Heinrich, wenn es dich in deinen
Scheidens-Martern
nicht mit einer neuen belädt. So fahre denn wol, Ferner, Kommen
der, (und Nächster auf eine oder
die andere oder beide Weisen). —
J. P. F. Richter.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_101.html)