Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Bayreuth, 17. Dezember 1805.
Brieftext
Lieber Heinrich! Ich bin dir wider meine und für deine Weise
sehr lange eine Antwort auf dein vorletztes Schreiben aus Dresden,
worin du mir ein letztes aus Weimar versprochen, schuldig
geblieben.
Noch dazu hatt’ ich mir dich selber versprochen. Jetzt thät’
ich letzteres
freilich weniger, wohnt’ ich sogar auf
einem Meierhofe unweit
München. Aber dieß nimmt mir immer nicht
die Hoffnung, dich zu
sehen, wenn ich — selber komme im Frühling. Gott weiß,
welche
Wolken den Weg und die Zeit dahin überdecken werden;
— doch
fürcht’ ich wenige; das Elend sucht jetzt mehr im Raum
als in der
Zeit sich auszudehnen.
Ich konnte — wenigstens anfangs des Kriegs und deiner An
kunft — keine Zeitung lesen, ohne deine Lage zu berechnen
und dein
Himmelslicht hinter dem Pulverdampf. Vielleicht
ersetzt dir —
wie du wol besser wissen als ich ahnen kann — eine ganz neue
Zeit den Verlust der alten.
Wer dich nur gesehen, den fragt’ ich, z. B. v. Knebel, Langer
mann. Über Göthe schreib mir etwas.
Langermann malt dich zu
meiner Freude sehr gesund und zu deinem Verdruß; denn du
unter
schreibst dich wie Voltaire gern als
den alten Kranken. Sei aber nur
wie er lange genug krank, ein halbes Säkul hindurch!
Neulich hätt’ ich beinahe aus zu großer Liebe für dich auf der
Stelle an dich geschrieben, als ein Fuhrmann zu mir kam und sich
den Vater eines Sohnes nannte, der schon so lange bei dir in
Diensten
steht. Er hatte doch einiges aus der nächsten Quelle
geschöpft, für die
er selber die erste war. Da ich aber so lange
wartete, bis er mir die
versprochne Einlage an seinen Sohn
einhändigte: so schrieb ich
freilich — da er noch nicht
wiedergekommen — erst heute.
Du alter Weltmann und Weltweiser, du warst im Stande, in
der
rohen krustigen erdscholligen Aussenseite (nämlich der mora
lischen, nicht der bloßen körperlichen) doch die schöne, auch
von
Herder und Goethe so geachtete
Oreade zu verkennen, die im Berge
wohnt, genannt Fr. v. Kalb? Und die
sehr schön hingezogne Mittel
Marks-Ebene, Mde Herz, diese kalte Musaik zufälliger Urtheile,
über jene zu setzen? — Ich wurde zwar von ihr in Berlin sehr
ge
sucht; aber ich (Unverheiratheter) wäre
nicht einmal fähig gewesen,
sie sinnlich zu lieben, geschweige
anders. Gutmüthig ist sie aber sehr;
und für Künstler-Augen —
z. B. meiner Frau — ist ihr Kopf fast
nach der Antike ausgearbeitet. Kurz ich könnte bei ihr
höchstens
wachen, nie — träumen.
Über theoretische Philosophie zu schreiben ist jetzt auf der kriegs
schwankenden Erde keine Möglichkeit; man
dankt Gott für ein Stück
praktischer und lustiger. Indeß
begehr’ ich ein noch größeres, und du
sollst meine Bitte
um den Weg dazu erhören helfen. Ich sitze nämlich
hier mitten
im Glanze der Natur, am Vorstadts Pol, an der Haupt
strasse aus dem Baierschen. Wird nun
wieder Krieg — wogegen
freilich nicht nur meine Berechnung, sondern auch ein
Lebens-Aber
glaube spricht, den ich dir
einmal entdecken will — so kann mir der
Natur glanz um vieles verdeckt werden durch einen ganz andern,
der mich wahrhaft stören würde, wenn er aufs Papier fiele, auf
das
ich mein neuestes Werk „J. P. Erziehungslehre“ schreibe.
Kurz ich
wollte nämlich in sochem Fall an den Churfürsten — dem oder
dessen
nächstem Hofe doch mein Name bekannt ist — mich mit der Bitte
um
Einen Protektor, Paraklet und Schirmvogt (Ein
Infanterist sei es)
wenden, der mich gegen zwei Alliierte
schützte; und an dich mit
der Bitte um die rechte Übergabe, sogar um die in Baiern
übliche
Courtoisie. In jedem Falle erwart’ ich also deinen Brief,
wenn
nicht vor, doch mit dem Kriege; folglich Gegengift mit Gift. —
Meine Erziehungslehre wird mir schwer, da ich weder in den
aufsteigenden noch niedersteigenden 〈Humor〉 Enthusiasmus
darin
gerathen darf, sondern in der Mitte der Ruhe und
ewiger Sentenzen
bleiben muß.
Über die Vorschule — das Freiheitsbüchlein etc. wünscht’ ich wol
dein Wort — hier hör’ ich nicht einmal ein mattes, geschweige
ein
heißes.
O wie wirft sich die Zeit durcheinander, Heinrich! Und immer
bereitet ein Chaos nur ein neues vor! Wahrlich nur die Buchläden
sind die Kasematten der Zeit; über den chaotischen Wassern schwebt
der gedruckte Geist. Ohne Bücher wäre die verdorbne Welt —
die
sich nicht immerfort, wie sonst, mit Völker-Quellen aus
Norden er
frischen kann und die
zuletzt keine andern Natur-Wilden zur Lehre
und Wehre mehr
haben wird als die sie selber erzeugt unter dem
Namen Kinder —
zugleich eine verlorne Welt; eine gerichtete ohne
Auferstehung.
Aber Licht wird zuletzt alles besiegen, nicht nur das Feuer.
Was wäre nicht zu sagen, oder gar zu hören, Lieber, wenn ich
an
deinem Tische säße, oder du an meinem?
Sage nur du jetzt etwas schnell, damit ich vergesse, daß du mir
Pol-Geiste vorüber gegangen, wie ein Venus-Durchgang, nur am
Aequator ersichtlich. Schreibe!
Ich grüße dich und deine [Schwestern] mit
herzlicher Liebe!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_177.html)