Von Jean Paul an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 27. August 1805.
Brieftext
Dieß erfreuet das Herz, wenn man eben im kurzen Zwischenraume
von zwei Tagen an einander gedacht und geschrieben hat — wie
wir. — Heute war die Braun bei uns — und Ihr Brief! Für
jene
weiß ich keinen Mannsnamen; für Sie Ihren. —
Ihr Schreiben
war mir herzlich werth, die Kürze ausgenommen.
— Über Luthers
Denkmal schrieb ich für das Cotta’sche Taschenbuch ¾
Spaß,
¼ Ernst. — Das vierte Flegeljahr kommt zur
M[ichaelis] Messe. —
O Sie sollten meine Kinder sehen! Und doch verliebten Sie
sich wie
überall die Phantasie ins jüngste. Emma ist ein Gemälde — Max
eine StatueDie Sprache ausgenommen
— denn sein Lexikon geht auf meinen, seinen Fingernagel — ists
viel schwerer, ihm etwas weg- als beizubringen. Endlich nach
vielen Nöthen ist er so weit, daß er den Rock aufhebt — aber nur vorn — um
zu pissen. Hinten fragt er nach nichts. Aber auch von der
andern Seite ist ihm alles so gleichgültig, weil ihm alles
Nachttopf ist, was er unter sich hat. Wahrlich beschenken
Sie uns mit Ihrer Gegenwart: so weiß ich voraus, daß 3 mehr ist als 2; 3
Köst liche als 2 Eltern. Gute Nacht,
Lieber! — Odilia ein Ton; ihr großes tief
untergestirntes
Auge ist ein Echo, Gott weiß aus welchem
Konzert —
Dieses Blatt hab’ ich eben abgeschnitten, um mit dem vorigen
fortzufahren, blos weil ich im Enthusiasmus des Arbeitens bin.
Dieß ist aber eben mein Fehler — der wenn nicht Feind doch Freund
so oft irre macht — daß ich im Feuer der sonstigen
Schreiberei
damit auch auf Brief- und Freunds-Papier
überwehe und dadurch —
in so fremden zufälligen
zeitlichen Verhältnissen — den Personen
und Gegenständen
eine Liebe zeige — durch meine zu starken Aus
drücke — die ich allerdings ganz anders äußern würde,
wenn ich
handeln müßte; denn ich würde dann sothanes Objekt
umhalsen
und sagen: willkommen, Alter!
N. S. Merkel hab’ ich zweimal eingesalzen in der Michaelis
messe. Wahrscheinlich schreib’ ich gar
einen öffentlichen Brief an
Göthe, wo ich diesem verspreche,
jenen jährlich zweimal zu ärgern,
es sei durch boshafte Gleichnisse oder andere Anspielungen.
Göthe’s
Winckelmann ist göttlich.
Es ist der Mühe werth, noch eine Nach-Nachschrift anzuleimen,
blos um Ihnen von dem Jammer einen Begriff zu geben, der mich
nun festhält, seit mein letzter gebissener nie beissender
Spitz vom
Fallmeister entkleidet und geschunden worden;
indem ich wöchent
lich andere
Novizen-Hunde zur Probe nehme (z. B. vom Fallmeister
selber ((wer ist nicht ein Meister im Fallen)) einen herrlichen zu
jungen Bullenbeißer) welche aber sämtlich (z. B. eben der
heutige
jetzige schwarze Jung-Spitz) abgehen müssen blos
weil sie ihren
Abgang in die Stube lassen. Überall Denkmäler
und nirgends ein
Hund! Mich schlägts nieder genug.
Heute den 1. September habe endlich einen niedlichen Schooß
spitz erstanden.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_128.html)