Von Jean Paul an Herzog von Württemberg Paul. Bayreuth, 7. September 1805.
Brieftext
Freilich das kahle Briefblatt — statt des beseelten Angesichts —,
das einsame Wort — statt des sich wie zwischen 2 Spiegeln
ewig
zurückwerfenden Gesprächs — dieß
[?] ist ein Brief, aber für unsern
Abend kein Ersatz und kein Echo. Für mich waren seine Flügel
eben
so schnell als bunt; und ich hole ihn mit Postpferden
nicht eher [ein]
als bis ich in — Ihr Zimmer trete. Ihren Befehlen zu Folge
gab
ich Ihr Manuskript den Händen, aus denen Sie
schon eine andere
Hand als Ihre empfangen haben. Das Manuskript hätte mich
für
Sie interessiert, wenn Sie mich nicht schon für dasselbe
interessiert
hätten. Indeß wünscht’ ich doch bei allen
Reizen desselben, daß Sie
mehr Ihr mündlicher Historiograph und
mehr der schriftliche Ro
mantiker
wären. Ihre Phantasie sollte die Flügel im weitesten Raume,
im
freien Himmel aufschlagen und dahin fliegen, wo es andere
Sterne gibt als die — angenähten. Die Freunde bemerken, die
Feinde behalten Worte mehr als Handlungen; und die vielsinnige
That wird leichter von diesen vergeben als das eindeutige Wort. Ich
würde also, statt mit jenem Alten zu sagen: rede, damit ich
sehe —
zuweilen wünschen: schweige, damit ich dich sehe. Denn nach
der
schönen Erkennung einer reichen Seele durch ihr Sprechen
gibt es
blos noch eine schönere — ihr Schweigen.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_134.html)