Von Jean Paul an Karl Ludwig von Knebel. Bayreuth, 9. September 1805.
Brieftext
In Briefen bezieht man sich Kürze halber, auf künftiges Sprechen
— und wenn endlich dieses dagewesen: hat man wieder Briefe
nöthig, um zu klagen. Denn ich schreibe diesen, um mich zu be
klagen, daß wir in zwei Tagen kaum angefangen haben, guten
Abend
zu sagen. Sie kamen mir als freundlicher Repräsentant
meiner schö
nen alten Kunstzeit in
diese weniger Sand- als Eiswüste herüber,
wo man nichts säet als Schneeflocken; — und doch hab’ ich
über
1000 Dinge nicht mit Ihnen gesprochen, und über 1000 zu
kurz. Ich
hätte Sie mehr über meine Vorschule fragen sollen —
über Ihre
neuesten Gedichte — über die Herzogin Mutter — über die
Erb
prinzessin — über den guten
Hof-Einsiedel — über Göthes natür
liche Tochter — über Falk — über den Titan
— über Schillers
letzte Zeit — — — sogar über die Flegeljahre und ob Jacobi
bei
Goethe gewesen. ... Sie rauschten aber als eine Freude und wie
eine
Freude vorüber. So hätt’ ich wieder Ihnen von der Frau v. Kalb,
von Fichte, ja vom Herzog Paul aus Würtenberg erzählen
sollen,
den ich aber erst vor einigen Tagen zum ersten male gesehen
und den
ich wirklich der schönen Braut in Hildburghausen würdig
halte.
Geben Sie Ihrer erfrischenden Erscheinung bald einen Nach
frühling durch ein Blättchen an mich. Der Mensch genießt
über
haupt mehr nur die
Nachsachen, den Nachsommer, die Nachkirch
weihe etc. als die Originale selber, so wie man leichter den Brief
als die Nachschrift vergißt.
Ich und meine Frau grüssen Sie sammt Ihren zwei Ihrigen recht
herzlich. Leben Sie wol!
N. S. Schreiben Sie!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_135.html)