Von Jean Paul an Karl Ludwig von Knebel. Bayreuth, 16. Januar 1807.
Brieftext
Mein guter alter Jugend-Freund, nämlich der poetischen in
Weimar! Ihr herrlicher Brief war kein bloßer Dreiklang,
sondern
auch ein Nach-Klang, eine Echo des Vergangnen. Mir ist jetzt,
zumal
politisch, als hätt’ ich 60 Frühlinge hinter mir; und fast den
nächst
vergangenen rechn’ ich noch in die alte weit
entrückte nachschimmernde
Aue hinüber. Gott sei nur Dank, daß
man die Leidtragenden der
langen Leiche des deutschen Reichskörpers nur noch hat! —
Himmel! jeder Briefschreiber hat jetzt mehr Stoff als Brief
papier, und sogar jener ist
theuerer!
Über unser Bayr[euther]
Land zog die Kriegs-Hagelwolke nur
als eine flüchtige Regenwolke, ohne Schloßen oder Blitze zu
werfen. — Aber die jetzige Menschheit bedurfte des
stärkenden
Kriegs früher als des Friedens, der erst hinter
jenem stähltTägliches Plagen und Nagen mattet ab; ein
tapferer Kriegs-Stoß weckt auf..
Denken Sie sich ein jetziges Europa ein Säkulum fortstehend
oder
fortfaulend ohne Krieg — — Jetzt hingegen wirken Friede
und
Bücher tüchtiger ein.
Ihr Lob der Levana hat mich fast noch stärker erfreuet als
Ihr
Tadel. Ihre gütige Voraussetzung meiner Gleichgültigkeit
gegen
Lob (höchstens mündliches ausgenommen) kann
ich ohne Unbescheiden
heit nicht zugeben;
und in der That, ich wüßte nichts was ich lieber
läse als
einen Rieß Papier, der mich unendlich
prieße; — und ich
hätte keine andere Mühe dabei, als die Sache
zu glauben. Aber
(ernstlich) Ihr ausgesprochener Tadel, zumal
eines besten, ja fast
ersten Lesers, den keine
Einseitigkeit der Aesthetiken gefangen nimmt,
ist für mich so
wichtig, daß ich seinem reinen ganzen Eindruck
mehr glaube als meiner Einsicht, und mit Recht; daher ich
Ihnen bei
meinen bald erfolgenden opera
omnia außer dem Freiexemplar noch
einen besondern Dank in der Autobiographie gelobe, wenn Sie
vorher
noch einmal alles lesen, was ich wieder edieren und
wiedergebären
will, und wenn Sie (der höchstens die
Nachsicht übertreiben kann)
alle Schärfe der Kraft an
befreundeten Werken zeigen wollten. —
Aber Sie sollen!
Nie hab’ ich gesuchten Witz, sondern nur suchenden; die zwei
Brennpunkte meiner närrischen Ellipse, Hesperus-Rührung
und
Schoppens-Wildheit, sind meine ewig ziehenden Punkte; und
nur
gequält geh’ ich zwischen beiden, entweder blos erzählend
oder blos
philosophierend, erkältet auf und ab. Ich kann ein
Kapitel, das Sie
tadeln (und gewiß mit Recht, da Sie sonst
überall meinen Scherz be
günstigen) oft kaum
erwarten; und muß es vorher gewiß voraus
setzen, um im Ernst ernst zu bleiben.
Prinzen-Verziehung setzt ja die Möglichkeit von Prinzen
Erziehung voraus.
Dreihundert Druckfehler sind in der Levana. Ich habe während
(Gott sei Dank für das neue Blatt, da man sich durch das
erste
bestimmte so einkerkert wie durch Ein System, ja
Ein Land)
die Kraft-Krieger vor meinem Fenster
vorüberzogen, eine scherzhafte
Beilage zur Levana mit der Zulage der Druckfehler (wirklich an 100)
gemacht; der Buchhandel wird sie Ihnen bald
bringen.
Ich sehne mich nach Ihnen, nach Goethe und Weimar. Was die
Herzogin — als heilige Jungfrau der genialen Dreieinigkeit
von
Herder, Goethe und Schiller — gethan, war mir vorher
bekannt
und noch früher erwartet.
Ich habe beinahe seit ¼ Jahr nicht über Kunst und Philosophie
gesprochen; ich bin hier.
Wir haben — außer den Trinkgläser-Konzerten — jetzt hier keine
Konzerte; — und wir gewinnen — da wir dabei keine Musik
verlieren (sobald wir sie nicht hören, wie ich leider gestern) —
wenigstens Geld, Einlaßgeld. Letzteres spare man, weil wir
Auslaß
geld zu zahlen haben.
Ich danke Gott, daß Herder bei Gott ist — desgleichen Gleim, der
einen falschen Hut von Friedrich II.
hatte.
Ich, meine Frau, meine Drei-Kraft-Dreifaltigkeit von Kindern
grünen, blühen und tragen. Sie sollten meinen
Frei-Jungen hören,
der halb humoristisch ist, oder überhaupt meine 3
Kinder-Vignetten
zur Levana.
Eben geh’ ich zu Fräulein v. Knebel, um vielleicht auf
Morgen
ein Blättchen an Sie zu bekommen.
Langermann ist einsam — thätig — lesend — gebend — ruhig
—
und der alte Kopf, nämlich ein Kopf.
Empfangen Sie noch einmal meinen rechten Dank für Ihre Blätter.
Ich und meine Frau grüßen Sie und die Ihrige recht herzlich.
N. S. den 17ten. Vergeben Sie die Nachlässigkeiten des
desultorisch
geschriebenen Briefs; — und schreiben Sie
mir die Absoluzion.
N. S. II. Warum schreiben Sie mir nichts von Ihren
Arbeiten?
N. B. Warum denken Sie z. B. nicht daran, Ihre
antik-römischen Ge
dichte gesammelt und verdoppelt
herauszugeben?
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_305.html)