Von Jean Paul an Johann Ernst Wagner. Bayreuth, 27. September 1804.
Brieftext
Ihr Wachsthum fliegt, lieber Wagner! Mit zunehmender Er
götzung an Ihrer Fülle und an Ihren Kenntnissen — zumal
der
Körper, Weiber, Gemälde und der Musik — zu welchen nicht
Ihre
öde Umgebung, sondern nur Ihr reiches Innere Sie führen
konnte,
las ich Ihren zweiten Theil durch, der der
erste sein sollte. Doch auch
jener hat Anfangs einige ökonomische Magerheit.
Dienstsachen,
alle Zwecke des Bürgerlichen etc. können nicht
schnell genug abgethan
werden. [
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]
Alle Ihre Karaktere halten sich scharf. In der Mathilde haben Sie
eine köstliche Jungfrau von neuer, romantischer Gestalt vom
Himmel
auf die Erde gelassen. Sie ist gar nicht leicht zu
schaffen und zu halten;
einige male geräth sie auch in mehr
Sprache hinein, als ihr an
erzogen sein
kann.
Sie haben Göthe’s Meister rein und stark gefaßt und die rechte
epische Ansicht des Romans gewonnen, ohne doch — wie
jetzt der
Echo-Pöbel thut — das stofflose Phantasieren mit der
symbolischen
Allgemeinheit zu vermengen. Eben Ihre scharfe
individualisierende
Ansicht und Kenntniß der vielgestaltigen
Erde bei allem Aufblick zum
einfachen poetischen (allegorischen)
Himmel thut so wol und ist so
dichterisch.
Suchen Sie jetzt bloß einen Fehler zu begehen, den Andere zu
vermeiden trachten müssen: nämlich suchen Sie mehr piquant zu
sein.
Ich wünsche Ihnen zu Ihrer Gegenwart und Zukunft Glück.
Leben Sie
wol!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_17.html)