Von Jean Paul an August Leopold Emil. Bayreuth, 6. Dezember 1805.

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Brieftext

Gnädigster Herzog,

Der Brief Ihrer Durchlaucht erneuerte meine alten Freuden und
Erinnerungen. Ihr Zürnen über die Wölfe, die um Arkadien bollen,
ist eine freie Übersetzung des Schillerschen Worts: das ist das Loos
des Schönen in der Welt. Autoren von Profession wie z. B. ich
haben die Wölfe viel näher am Leibe gewohnt. Indeß ist doch der
Freimüthige — den Sie wahrscheinlich meinten — als ein zu ver
ächtlicher, alles Große und Geniale hassender Knecht der Kleinlich
keit nicht der Mühe Ihres Blickes, geschweige Ihres zornigen werth.
Ich habe ganz andere und gerechtere Urtheile über das arkadische
Jahr
— als ein Freimüthiger geben kann, der seinem Motto
Aristides in der Selbst-Verbannung nachahmen sollte — von
Männern gehört und gelesen. Sogar Professoren und Kon
sistorialräthe wie Ammon bewundern den geheimen griechi
schen Schatz darin, dessen Flämmchen wieder nur Gelehrsamkeit
sieht. Es gibt aber etwas Höheres im Werke: nämlich eine solche
Verschmelzung der alten und neuen Zeit, eine solche poetische Ver
söhnung des Griechischen mit dem Romantischen, die hier zum
ersten male erscheint. Diesen Bund zweier Alter und Naturen unter
schrieb Ihre Feder.


Indeß hier erlauben mir Ihre Durchlaucht auf einmal einen Fall
in die harte Prosa-Erde herunter. Ich muß nämlich — falls der
faule Heinz oder Athanor Europens noch fortbrennt, Bonaparte
— dem laufenden Steppenfeuer des Kriegs entlaufen mit Weib und
Kind; und — darf ich — bis nach Gotha. Ich aber und mein Freund
Schlichtegroll würden da unter den schon vom Kriege überfüllten
Häusern schwerlich ein leeres finden. Hier thue ich nun an Ihre
Güte und Kraft eine kühne und scheue Bitte zugleich, ob Sie nicht
vielleicht unter den leeren Gebäuden, über welche Sie von Ihrem
Thron-Berge herab zu gebieten haben, irgend eines, ein kleines,
dem Emigré und Rémigré durch Ihr Wort öffnen wollen lassen.
Voltaire machte einmal den großen Friedrich zu einem pharma
zeutischen Lieferanten von Stahlpillen durch eine Brief-Bitte. Ich
hoffe, daß diese Unschicklichkeit durch die Wichtigkeit und Ver
anlassung meiner Bitte vermieden worden ist. Dann wenn Sie be
jahen, wär’ ich unter den tristen Wolken der Zeit doch heiter und
nach dem gelesenen Jahr in Arkadien bekäm’ ich eine erlebte Jahrs
zeit daraus. —


Bayreuth d. 6. Dec. 1805
Ihrer Durchlaucht
UnterthänigsterJean Paul Fr. Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 5. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1961.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Haus- u. Staatsarchiv Gotha. 4 S. 4°. K (nach Nr. 172): Herzog v. Gotha 6 Dec. i: Wahrheit 7,59. B: IV. Abt., V, Nr. 69. 69,12 ein] eine H 15 geheimen] nachtr. H 23 Prosa-Erde] Prosawelt K 25 entlaufen] davor gestr. selber H 31 ein kleines,] nachtr. H 33 den großen Friedrich] Fr II K

Der Herzog hatte sich sehr aufgebracht über die schlechte Aufnahme seines gräzisierenden Opus „Ein Jahr in Arkadien“ geäußert. 69, 5 Schiller: vgl. 48, 217ff. Die Rezension des Freimüthigen steht in Nr. 184 v. 14. Sept. 1805; die Zeitschrift führte den Kopf von Aristides im Titel. 24 faule Heinz: vgl. I. Abt., VIII, 208,36, XV, 151,21. — Der Brief scheint unbeantwortet geblieben zu sein, vgl. Nr. 229†.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_174.html)