Von Jean Paul an August Leopold Emil. Bayreuth, 22. Juli 1806.

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Brieftext

Kopie
[ Bayreuth, 22. Juli 1806 ]

Ihre D[urchlaucht] haben mich 2mal überrascht, durch Schweigen
oder Geben und durch Geben. Im letzten hatten Sie es schwerer,
da es nicht das erste mal war. Empfangen Sie ohne Wendung
meinen herzlichen Dank für das gestrige Geschenk, das bis in die
kleinste Form seiner Form den poetischen Geist seines Urhebers ver
räth. Ich möchte eine Geschichte Ihrer Schenkungen haben, nicht
dieser selber, sondern ihrer Einkleidungen. Hat das Kunstwerk von
außen geblendet: so erleuchtet es mit seinem Innern; wenige neue
deutsche Werke dieser Gattung sind in dieser reinen frommen
dichterischen Haltung vollendet.

Ihre liebreichen Worte haben mich von Irrthümern, die mir wehe
thaten, durch Freuden geheilt. Machen Sie öfters Ihre Freunde so
krank, um das Vergnügen zu haben, der einzige Arzt zu sein? —


Möge irgend ein guter Genius dafür der Ihrige sein! Ihr Brief
ist einer mit einem schwarzen Rande; und ob ich gleich gewis weiß,
daß dieselbe Phantasie, die Grazien und Arkadien schafft, eben so
fruchtbar an Parzen und in der Bevölkerung des Höllenreichs sein
muß: so ist doch leider in einem eingebildeten Schmerze mehr Wahr
heit oder Dauer als in einem eingebildeten Himmel. Nur etwas belebt
das Leben — — Erschaffen; über Erschaffen wird Vergehen ver
gessen. Sie haben aber vollends das Glück, nicht nur zwischen 2
Schöpfungen wählen — der des Dichters und der des Regenten —
sondern auch beide vereinigen zu können. Sie verdienen für Ihren
gütigen Brief die letztere Wahl.


Ich habe jetzt grosse oder zu grosse Sehnsucht nach Gotha; denn
ich kann sie nicht eher befriedigen als Ende Sommers, wo mein
neuestes Buch über Erziehung vollendet ist.

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 5. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1961.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

K: Herzog v. Gotha 22 July. i: Wahrheit 7,90. 96,32 war] davor gestr. ist 97,6 liebreichen] vielleicht lieblichen

Nach i bestand das Geschenk des Herzogs in einer Prachtausgabe der Genovefa (von Tieck). Jean Paul scheint geglaubt zu haben, der Herzog habe ihm seinen Brief Nr. 174 übelgenommen, vielleicht wegen der Bemerkung über Bonaparte.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_229.html)